Eismord
der Straße standen. »Das war entsetzlich.«
»Kannst du laut sagen. Beschwerte Klingen und so.«
»Nein, nein. Die bloße Vorstellung, dass Cornelius Venn ein Sexleben hat.«
[home]
8
S am Doucette hatte sich das ganze Wochenende in ihrem Zimmer eingeschlossen und es nur zu den Mahlzeiten verlassen. Seit sie zum ersten Mal das Wort
enthauptet
gehört hatte, war sie wie erstarrt. Sie erklärte ihrer Mutter, sie hätte ein großes Kunstprojekt für ihren Kurs vorzubereiten – und sie arbeitete tatsächlich an ihren Zeichnungen –, doch vor allem wechselte sie zwanghaft zwischen Radio und Internet, um keine Nachricht zu verpassen, in der Zeugen oder »sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung« erwähnt wurden.
Sie nahm Pootkin, das kleine warme Bündel, auf den Arm, doch die Katze wand sich ihr aus den Händen, sprang auf die Fensterbank und schlug, nachdem sie es sich dort bequem gemacht hatte, mit dem Schwanz gegen die Wand.
Randall hatte nicht angerufen. Er musste inzwischen von den Morden wissen; er musste wissen, welche Angst Sam ausstand. Doch er rief nicht an. Sie wünschte sich, dass er ihr seinen starken Arm um die Schulter legte und sagte, alles wird gut. Sie wünschte sich einen Streifenwagen mit zwei stämmigen Polizisten, der Tag und Nacht vor ihrem Eingang parkte und ihr, sobald sie das Haus verließ, in nicht allzu diskretem Abstand folgte. Sie wünschte sich, dass ein muskelbepackter Bodyguard in schwarzem Rollkragenpullover, mit Hörmuschel im Ohr und einschüchternder Miene neben ihr herlief.
Der Verstand sagte ihr, dass sie sich am besten ganz normal verhielt, als ob nichts wäre. Sie öffnete ihren Kleiderschrank, kramte einen mittellangen, gefütterten Jeansmantel mit einem Kragen aus Wolle heraus. Ihren zerrissenen, blutverschmierten Daunenmantel hatte sie hinten in eine Ecke gestopft. Sie zog eine Baskenmütze heraus, die sie dieses Jahr noch nicht getragen hatte. Die hatte sie von ihrem Vater, und sie musste zugeben, dass sie ziemlich schick aussah. Doch eines Tages hatte Lisa Culkin gesagt: »Hey, du siehst toll aus, Sam, wie eine Pfadfinderin« – vermutlich genau der Grund, weshalb ihr Vater sie mochte, das Seriöse, das die Mütze seiner widerspenstigen Tochter verlieh, die Kunst statt etwas »Richtiges« studieren wollte.
Sam schnappte sich ihren Rucksack, ging zur Garage hinaus und inspizierte das Heck des Civic. Baskenmütze, Rucksack, anderer Mantel – er wird nicht mich wiedererkennen, vermutete sie, sondern diesen verdammten Wagen. Die Garage war das Reich ihres Vaters – vorausgesetzt, er war zu Hause. An sämtlichen Wänden standen Regale mit Werkzeug und Gerät, mit Holzstücken und Teilen von Maschinen, die er reparieren wollte, ohne es je zu tun. Hier draußen bewahrte er auch seine Jagdausrüstung auf. Nicht seine Waffen, sondern seine Schlafsäcke und Zelte, und sein Kanu hing an Seilen unter der Decke. Seine Vixen-Excalibur-Armbrust, mit der er ihr das Schießen beigebracht hatte, war hier zusammen mit seinen Langbogen und Pfeilen in unterschiedlichem Gebrauchszustand verstaut.
Sie wühlte auf den Regalfächern und der Werkbank, bis sie einen geöffneten Topf Pollyfilla fand. Sie musste den Deckel mit einem Schraubenzieher aufhebeln. Das Zeug darin schien noch verwendbar zu sein.
Auf den Anleitungen im Internet stand, man müsse das Loch zuerst mit Drahtwolle füllen, doch es war so klein, dass ihr das überflüssig schien. Sie löffelte ein wenig von der Masse heraus und strich sie über das beschädigte Metall. Es sah so sehr nach einem zugespachtelten Einschussloch aus, wie es nur ging. Es würde nicht einfach werden, die Farbe zu treffen, doch sie würde ein paar Tuben aus dem College mitbringen und zumindest versuchen, sie richtig zu mischen.
Das Rücklicht war etwas anderes. Sie hatte die Honda-Werkstatt angerufen, und die hatten ihr gesagt, sie könnte das Ersatzteil in zwei Tagen bekommen, und es würde sie mehr als einen Wochenlohn kosten. Sie buchten eine Anzahlung von ihrer Kreditkarte ab, was ihr – mit ihrem Studenten-Dispolimit – noch ungefähr fünfzig Cent Spielraum ließ.
Sie fuhr mit dem Bus zum College und verbrachte den Nachmittag im Zeichenkurs. Sie hatten ein Nacktmodell – ein Mädchen aus dem Theaterinstitut, mit breiten Schultern und schönen Brüsten. Einen Moment lang fragte sich Sam, ob sie eine latente lesbische Neigung hatte, doch dann dachte sie an Randalls Körper und das, was er mit ihr machte, und schloss die
Weitere Kostenlose Bücher