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Eismord

Eismord

Titel: Eismord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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wahrscheinlich kaum noch etwas seltsam vor«, antwortete Delorme. »Aber die Schusswunden – die passen zur Situation am Tatort, stimmt’s? Der Mann saß links vom Mörder, die Frau rechts. Der Mörder zieht seine Waffe, erschießt den Mann, bevor der reagieren kann, peng. Dann schießt er die Frau in die Schläfe. Plausibel, oder?«
    »Nur für die Reihenfolge, in der sie erschossen wurden, würde ich mich nicht verbürgen. Dafür gibt es kein Indiz. Jedenfalls bis jetzt noch nicht.« Cardinal lief ein paar Schritte zurück zu dem langen Teil des Stegs. Dann blieb er, die Hände in den Taschen vergraben, stehen. Er drehte sich um und blickte in derselben Richtung über den See wie die tote Frau. Er fragte sich, wer diese beiden Menschen waren und wer ihr Mörder war. Er starrte über den gefrorenen See, über die weiten, mit Blitzeis und trockenen Schneekörnchen bedeckten Flächen. Von der Kälte tränten ihm die Augen. Die Wolkendecke war gewandert, und der Mond erleuchtete die trostlose Weite des Sees. In der Ferne waren – schwarz in schwarz – die Silhouetten der Manitou-Inseln zu erkennen, und über den Manitous ein noch schwärzerer Himmel, an dem kalte Sterne blinkten und pulsierten.
     
    Als es nach geraumer Zeit für Cardinal am Leichenfundort nicht mehr viel zu tun gab, ging er den Steg entlang zurück. Er war jetzt mit Flatterband abgesperrt, und obwohl es Sonntagmorgen war, drängte sich davor eine Schar Reporter. Die Enthauptungen waren landesweit bis zu sämtlichen Nachrichtendiensten gedrungen, und so waren Journalisten aus Ottawa und Toronto angereist, die sich unter die Lokalreporter aus Algonquin Bay und Sudbury mischten.
    Cardinal hatte sich eine Erklärung zurechtgelegt.
    »Zu diesem Zeitpunkt kann ich Ihnen nur sagen, dass wir Körperteile gefunden haben, die möglicherweise zu den Opfern gehören, die am Trout Lake entdeckt wurden. Bis jetzt wissen wir noch nichts über die Identität der Toten und folglich auch nicht, wer ein Interesse daran hatte, sie zu töten. Selbst wenn wir sie identifiziert haben, nun ja, Sie kennen die Regeln – werden Sie sich gedulden müssen, bis wir die Angehörigen benachrichtigt haben.«
    Ein Schwall von Fragen. Handelte es sich bei den Opfern wirklich um Amerikaner? Wie wurde der Tatort vorgefunden? Hatten sie die Köpfe schon gefunden?
    »An diesem Punkt der Ermittlungen haben wir genauso viele Fragen wie Sie.«
    »Werden Sie die Provinzpolizei Ontario hinzuziehen?« Die Frage kam immer – bei jedem aufsehenerregenden Fall, als ob nur Kriminalisten auf Provinzebene damit fertig werden könnten. Sooft er die Frage gehört hatte, sooft hatte sie ihn genervt.
    »Dafür sehe ich keine Notwendigkeit.«
    Sie brüllten weitere Fragen.
    Cardinal hielt die Hände in die Höhe, als drückte er ein aufgeblähtes Segel zurück. »Das wär’s dann für den Moment. Sobald ich mehr weiß, erfahren Sie mehr.«
    Er bahnte sich einen Weg zwischen den Menschen hindurch und eilte zu seinem Wagen. Hinter ihm holte ihn eine Frau ein. Sie war klein, ihr blonder Kopf auf Cardinals Schulterhöhe.
    »Detective, könnte ich Sie wohl einen Moment sprechen?«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an.« Er lief weiter zu seinem Auto, während die Frau ihm folgte.
    »Ich wollte Sie nach dem anderen Fundort, nicht dem hier, fragen. Es ist überaus interessant, dass die Opfer enthauptet wurden – und das Messer dem Mann noch im Rücken steckte. Das ist alles so theatralisch, so ausgefallen. Haben Sie keine Angst vor Nachahmern oder falschen Geständnissen?«
    »Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen«, erwiderte Cardinal. »Wir sind immer noch in der Lage, falsche Geständnisse zu erkennen. Im Moment kann ich Ihnen nicht mehr sagen.«
    »Und wenn Sie nun, was Gott verhüten möge, einen Trittbrettfahrer kriegen?«
    Cardinal blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Sind Sie schwerhörig? Ich sagte, ich kann nicht mit Ihnen reden. Wieso geht das Reportern nicht in den Schädel?«
    Zur Antwort blinzelte sie ein einziges Mal. Sie hatte graue, weit auseinanderstehende Augen, was ihrem Gesicht etwas Unanfechtbares verlieh. Ein kurzes Lächeln, dann: »Sind Sie, nachdem Sie nun die Köpfe haben, in der Lage, die Identität der Opfer zu bestimmen?«
    »Ich habe nichts von
Köpfen
gesagt.«
    »Ich kann zwei und zwei zusammenzählen, Detective.«
    »Bei welcher Zeitung sind Sie überhaupt?«
    Sie zog einen Lederhandschuh aus, griff in die Tasche und zückte eine Visitenkarte, die sie Cardinal reichte.

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