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Eismord

Eismord

Titel: Eismord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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gestapelt hatte, und die Flammen schlugen im Kamin hoch, und man hörte, wie die heiße Luft die Esse hinaufjagte. Die Sitzecke war im Kreis um den Kamin wie um einen Fernsehapparat angeordnet. Nikki hatte auf der einen Seite einen Sessel ganz für sich, Jack saß im zweiten, und Lemur hatte sich, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, auf dem Sofa ausgestreckt. Sein Gesicht glühte orange im Schein der Flammen.
    Zuerst beschrieben sie einander unterschiedliche Formen und Gestalten, die sie zwischen den Scheiten in der Feuersbrunst entdeckten. Lemur sah einen Mönch mit Kapuze, Nikki einen dicken Mann auf einem Fahrrad, worüber die anderen zwei lachten, und Jack sah sieben Zwerge, die alle Äxte und Sägen auf der Schulter trugen. Nikki hatte das einmal in irgendeinem Zeichentrickfilm gesehen, doch das behielt sie für sich. Eine Weile waren sie mit diesem Spiel beschäftigt, und selbst Jack lächelte, so dass seine Zähne im Licht der Flammen blitzten. Sein Schatten hüpfte und zitterte an der Decke.
    Dann schlug Lemur vor, ihre Zukunft aus dem Kaminfeuer zu lesen. »Versucht, euch vorzustellen, wo ihr in zehn Jahren seid. Wie ihr dann lebt. Mit wem ihr zusammen seid.«
    »Wir werden im Norden sein«, sagte Jack. »Das K- OS ist längst eingetreten. Alle Unterschichten erheben sich, während alle anderen versuchen, sie niederzuschlagen – das versuchen sie jetzt schon. Aber diesmal werden die Verlierer gewinnen – die Schwarzen, die Ureinwohner, die Muslime –, da sie so lange unterdrückt gewesen sind, macht es ihnen nichts aus, auf Leben und Tod zu kämpfen und Köpfe rollen zu lassen. Deshalb beschlagnahmen wir die Jeeps und die Schneemobile. In zehn Jahren werden sich schon mehrere hundert Mitglieder dieser Familie oben im Norden versteckt halten – kleine Kommunen, Selbstversorger. Auf dem übrigen Planeten regiert das K- OS . Im Norden lebt es sich dann am besten, weil Schwarze und Muslime offensichtlich keine Fans der Kälte sind und der übrige Planet brennt.«
    »Kommt Papa aus dem Norden?«, fragte Nikki. »Ist er deshalb so verrückt danach?«
    »Er ist irgendwo im Norden groß geworden«, sagte Jack, »aber darum geht es nicht. Noch nie was vom Treibhauseffekt gehört? Der Norden wird die letzte bewohnbare Gegend sein.«
    »Stimmt«, pflichtete Lemur bei. »So sieht das Papa.«
    »Wie Papa das sieht, hat damit nichts zu tun. Es geht um Fakten.«
    »Also, egal, wie die Sache läuft, ich bleib bis zum Schluss bei dieser Familie«, sagte Lemur. »Allerdings ist das nichts, was ich im Moment in den Flammen sehe. Na ja, ein bisschen vielleicht.« Er zeigte auf ein Stück eines verkohlten Holzscheits, das aus den Flammen herausragte. »Seht ihr, das da ist mein Iglu.«
    »Ziemlich heiß für ein Iglu«, kommentierte Nikki.
    »Aber all diese Hitze da drinnen? Diese Schönheit? Das kommt von dem liebevollen Zuhause, das ich zusammen mit meiner Frau einrichten werde.«
    »Ah, klar doch«, sagte Jack. »Was sonst.«
    »Ich sag dir, ich seh sie vor mir. Sie hat langes braunes Haar, bis auf die Schultern. Ein bisschen gelockt. Und wenn sie lächelt, hat sie diese kleinen gebogenen Dinger an den Mundwinkeln.«
    »Grübchen«, half Nikki aus.
    »Das heißt Grübchen? Dann hat sie Grübchen. Sie ist groß – mindestens so groß wie ich –, und sie hat eine gute Figur. Nicht zu voll. Sie hat auch richtig Grips. Mehr als ich.«
    »Das ist anzunehmen«, sagte Jack.
    »Und sie trägt Rollkragenpullis und Kordjeans, die richtig gut sitzen. Weil es da oben kalt ist. Und sie hat einen weißen Mantel mit einer Pelzkapuze und einem hellblauen Schal. Ich sag euch, ich seh dieses Mädchen vor mir. Ich seh sie deutlich vor mir. Wann wir uns begegnen? Ich werde auf Anhieb merken, wer sie ist. Und ich werde mich in sie verlieben, weil ich schon jetzt in sie verliebt bin.«
    »Ah«, sagte Jack, »das ist wirklich schön.«
    »Das ist es auch«, sagte Nikki. »Das ist es wirklich, Lemur.«
    Nikki wünschte sich, sie hätte irgendwas Vergleichbares gesehen. Sie hatte diese ganze Geschichte mit dem Norden völlig vergessen. Papas K- OS -Vision. Nach allem, was in den Nachrichten kam und so, schien es irgendwie logisch, aber es machte keinen nachhaltigen Eindruck auf sie. Manchmal hatte sie das Gefühl, Papa selbst glaubte nicht wirklich daran, sondern an etwas ganz und gar anderes, was er für sich behielt.
    Lemur schielte zu ihr hinüber, so dass das Weiß in seinen Augen schimmerte. »Was siehst du für dich voraus,

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