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Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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setzen und den Fuß immer nur aus dem einen frisch getretenen Loch im Schnee zu ziehen, um ihn gleich darauf ins nächste zu setzen.
    Er erlaubte sich auch nicht, über die Kälte nachzudenken, obwohl sie unmöglich zu ignorieren war. Seine Kleidung war ein Witz, so unangemessen war sie. Bevor er gestern aus der Lodge abgefahren war, hatte er sich für einen kühlen Tag im Freien angezogen - mit Mantel, Schal und Mütze. Aber heute hatte der Begriff »Kälte« eine ganz andere Dimension. Die Temperatur lag schätzungsweise zwischen zehn und zwanzig Grad Celsius unter null. Den frostigen Wind eingerechnet, betrug die gefühlte Temperatur etwa minus dreißig Grad. Noch nie war er einer derartigen Kälte ausgesetzt gewesen. Noch nie. Nicht auf all seinen Reisen.
    Seine Atem und Pulsfrequenz kletterte bald in gefährliche Höhen. Sein Herz fühlte sich an wie ein Ballon kurz vor dem Platzen. Die Vernunft sagte ihm, dass er anhalten und eine Pause einlegen musste. Doch das wagte er nicht. Falls er stehen blieb, und sei es noch so kurz, würde er sich wahrscheinlich nie wieder bewegen.
    Irgendwann würde man seinen erfrorenen Körper finden. Und daneben seinen Rucksack. Mit dem Band. Und den Handschellen.
    Lilly würde man tot in der Hütte auffinden.
    Daraufhin würde man die ganze Gegend durchkämmen. Eine entsetzliche Entdeckung würde zur nächsten führen. In seinem abgestellten Wagen würde man die belastende Schaufel im Kofferraum finden. Schließlich würden sie auf die Gräber stoßen.
    Tierney ging weiter.
    Seine Wimpern verkrusteten unter den Schneeflocken, die sofort vereisten und ihn vorübergehend blind machten, was genauso ärgerlich wie gefährlich war. Der feuchte Atem gefror auf dem Wollschal und machte ihn steif.
    Unter den Kleidern schwitzte er vor Anstrengung. Er spürte die Schweißperlen über seinen Rumpf rinnen, direkt über die schmerzenden Rippen auf seiner Linken, wo Lilly ihren wohlgezielten Ellbogenstoß gelandet hatte.
    Normalerweise war sein Orientierungssinn zuverlässig wie ein Kompass. Aber als er ganz kurz anhielt, um auf seine Armbanduhr zu sehen, begann er zu fürchten, dass ihn sein sechster Sinn diesmal im Stich gelassen haben könnte. Selbst wenn er das Gelände berücksichtigte, durch das er sich kämpfen musste , hätte er inzwischen mit Sicherheit die erste Serpentine abschneiden und auf die Straße stoßen müssen.
    In der vergeblichen Hoffnung, einen vertrauten Punkt auszumachen, schaute er sich um, doch in diesem Schneewirbel sah ein Baum wie der andere aus. Natürliche Orientierungszeichen wie Felsen oder verrottende Baumstümpfe waren unter der weißen Decke verschwunden. Nichts außer seinen frischen Fußstapfen durchbrach die jüngfräuliche Schneedecke.
    Sein Verstand mahnte ihn, dass sein Orientierungssinn nicht unfehlbar war, dass er sich vielleicht verlaufen hatte und im Kreis ging. Doch dann siegte der Instinkt, der ihm sagte, dass er immer noch auf Kurs war, dass er nur falsch eingeschätzt hatte, wie weit er gehen musste, um die Serpentine abzuschneiden und wieder auf die Straße zu kommen.
    Er hatte sich zu oft auf diesen Instinkt verlassen, um ihm jetzt zu misstrauen.
    Den Kopf gegen den Wind eingezogen, stapfte er weiter und versicherte sich bei jedem Schritt, dass er bestimmt bald auf der Straße landen würde, wenn er die eingeschlagene Richtung einhielt.
    Und so war es auch. Allerdings nicht ganz wie erwartet. Er landete nach einem drei Meter tiefen Sturz darauf. Sein rechter Fuß landete zuerst. Mit der Wucht einer Pfahlramme jagte er durch den kniehohen Schnee und prallte so schmerzhaft auf den vereisten Asphalt darunter, dass Tierney laut aufschrie.
    Nachdem er Begley, Hoot und Burton erklärt hatte, dass er Ben Tierney für den Täter hielt, hatte Ernie Gunn nichts weiter zu sagen. Ohne ein weiteres Wort und mit festem Schritt führte er seine Frau zur Tür. Ihr Abgang hinterließ ein Vakuum in Chief Burtons engem Büro.
    Begley brach das betretene Schweigen. »Wir müssen mit dem jungen Hamer reden.«
    Hoot hatte schon geahnt, dass das Begleys nächster Schritt wäre. »Wäre ganz interessant, ihm auf den Zahn zu fühlen, was er zu Millicents Verschwinden meint.«
    »Einen Moment«, sagte Burton. »›Ihm auf den Zahn zu fühlen*? Scott und das Mädchen waren vor einem Jahr zusammen, na und?«
    »Darum wollen wir mit ihm reden. Haben Sie was dagegen einzuwenden?« Begleys Nussknackerblick forderte Burton heraus, ihm zu widersprechen.
    »Ich würde gern

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