Eisnacht
bloßen Händen alle Taschen ab. »Irgendwo muss ich es abgestellt haben, entweder in Ritts Haus oder in der Garage. Ich kann mich noch erinnern, dass ich an der Lautstärke gedreht habe, nachdem du es mir gegeben hast. Danach…«
»Auch egal. Gehen wir.«
Wes ging voran, trat von der Straße und kletterte den steilen Abhang hinauf. Sich an dem vereisten Felsen festhaltend, drehte er sich um und reichte Dutch helfend die Hand. Tierneys Spuren hatten sich deutlich in den tiefen Schnee gegraben. »Er versucht nicht mal, seine Spuren zu verwischen.«
»Das könnte er so oder so nicht.« Dutch sah Wes an und brachte, zum ersten Mal seit Tagen, ein Lächeln zustande. »Haben wir nicht sagenhaftes Glück?«
Sie hatten den Vorteil, dass sie ausgeruht waren. Tierney war sich dessen bewusst und verdoppelte seine Anstrengungen, sie auf Abstand zu halten. Vor etwa zwei Stunden war er aus der Hütte aufgebrochen. Bis auf eine einzige kurze Rast hatte er sich unter den denkbar schlechtesten Bedingungen durch den Schnee geschlagen und gegen die überwältigende Erschöpfung angekämpft.
Er hatte gar nicht erst abgewartet, um festzustellen, wer auf den beiden Schneemobilen saß, sondern sich sofort in den Wald geschlagen. Er konnte sich schon denken, wer die beiden waren, und er hatte richtig getippt. In regelmäßigen Abständen riefen sie seinen Namen, er erkannte die Stimmen. Dutch Burton und Wes Hamer. Beide waren kräftig und durchtrainiert. Er war auch einigermaßen sicher, dass sie in den letzten achtundvierzig Stunden weder vor ein Auto gelaufen waren, noch eine Gehirnerschütterung verkraften mussten, eine Platzwunde auf dem Kopf abbekommen oder sich den Knöchel verstaucht hatten.
Wahrscheinlich hatte auch keiner von beiden in der vergangenen Nacht eine Frau geliebt und dabei kaum ein Auge zugetan.
Kräftemäßig waren sie ihm gegenüber eindeutig im Vorteil. Aber sie waren definitiv nicht schlauer als er. Im Gegenteil, sie waren nicht besonders helle. Gute Verfolger hätten die Klappe gehalten, um ihm keinen Hinweis zu geben, wo und wie weit hinter ihm sie waren. Obwohl die beiden so gern mit ihren Jagdkünsten prahlten, hatten sie noch eine Menge übers Anpirschen zu lernen. Vielleicht glaubten sie, dass eine menschliche Beute anders auf Lärm reagierte als Wild.
Täusch dich nicht, Tierney, dachte er bei sich, ihre Beute bist du trotzdem.
Jeder Zweifel daran war von Wes' lockenden Rufen und Dutchs giftigen Drohungen erstickt worden, die gespenstisch durch den verschneiten Wald schallten. Genau wie er befürchtet hatte, wollten sie Blue lebend oder tot in die Finger bekommen. Er hatte den starken Verdacht, dass sie Letzteres bevorzugten, vor allem Dutch Burton, der mehr als ein paar obszöne Unterstellungen über ihn und Lilly in den Wald gebrüllt hatte.
Dutch besaß eine Polizeimarke, aber Tierney wusste wohl, dass das Dutch nicht davon abhalten würde, ihn kaltblütig abzuknallen, wenn er eine Gelegenheit dazu bekam. Denn Dutch war nicht nur ein Gesetzeshüter, der geschworen hatte, das Gesetz zu achten und die Bürgerrechte zu respektieren, sondern auch ein verstoßener Exmann, dessen Frau zwei Nächte abgeschnitten von der Welt mit einem anderen Mann verbracht hatte. Falls er Tierney ins Fadenkreuz seines Zielfernrohrs bekam, würde er ohne zu zögern abdrücken und dabei innerlich frohlocken.
Sie spürten, dass er schwächer wurde, und das spornte sie weiter an. Er blieb nicht stehen, um sich umzudrehen, und wusste trotzdem, dass sie unaufhaltsam aufschlossen. Der Lärm, den sie machten, kam immer näher. Sie hatten es leichter als er. Er musste sich den Weg bahnen. Sie brauchten ihm nur zu folgen.
Er überlegte, ob er in Deckung gehen und sich wehren sollte. Er hatte die Pistole dabei, sie war immer noch geladen, nur die eine Kugel, die Lilly auf ihn abgefeuert hatte, fehlte. Trotzdem war die beachtliche Reichweite seiner Waffe nicht mit der eines Gewehres zu vergleichen. Und sie waren zu zweit. Einer konnte ihn in Schach halten, während ihn der andere in weitem Bogen umkreiste und ihn von der Flanke angriff.
Außerdem hatte er Angst, dass er nicht mehr hochkommen würde, falls er anhielt. Er war mit seinen Kräften am Ende. Er hatte schon geglaubt, sie erschöpft zu haben, nachdem er gestern Lillys Medizin holen gegangen war, aber heute stand er wirklich knapp vor dem Kollaps. Nur die blanke Willenskraft hielt ihn auf den Füßen.
Gerade als er zu dem Schluss gekommen war, dass er weitermusste,
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