Eisnacht
Westen entfernt und hatte sich dabei mehr oder weniger auf die andere Straße zubewegt. Aber wie weit war er dabei gekommen? Wie weit musste er laufen, bevor er auf die Mountain Laurel Road stieß? Und wie weit es auch sein mochte, konnte er es mit der Kraft, die ihm noch blieb, überhaupt schaffen?
Versuchen musste er es. Dutch und Wes waren kräftiger und besser bewaffnet, aber er hatte zwei Vorteile ihnen gegenüber. Seinen angeborenen Richtungssinn. Und seinen Überlebensinstinkt.
Ehe er sich anders besinnen konnte, wuchtete er sich auf die Knie. Schon dabei protestierten seine Muskeln, vor allem der verstauchte Knöchel. Aber er zwang sich in die Hocke und floh weiter, so tief geduckt wie möglich und immer bemüht, seine Flucht nicht zu verraten, indem er auf einen toten Zweig trat oder irgendwo anstieß.
Er hoffte, dass Dutch und Wes wertvolle Zeit damit vertun würden, sich an den Felsen heranzuschleichen, um ihn zu überraschen und um dann selbst überrascht zu werden, wenn sie entdeckten, dass er sich nicht mehr dahinter versteckte.
Der Wunsch wurde ihm nicht gewährt.
»Dutch, links von dir!«, hörte er Wes rufen.
Tierney sprang auf und begann zu laufen. Oder versuchte es wenigstens. Seine Beine pflügten durch den Schnee, der ihm stellenweise bis zur Hüfte reichte. Seine Arme schlugen sich durch schneebedeckte Ranken. Er stolperte über verborgene Baumstümpfe und zugeschneites Dickicht. Eisbepackte Äste peitschten ihm ins Gesicht.
Aber wenn das Schnaufen und Stöhnen seiner Verfolger etwas zu bedeuten hatte, dann taten sie sich genauso schwer wie er. Tierney spürte die Verzweiflung, die sie zu dieser Jagd trieb, und erkannte, dass seine Schlussfolgerung korrekt gewesen war - Dutch Burton wollte ihn erledigen, ehe andere Polizisten eintreffen und ihn daran hindern konnten.
Genau wie schon einmal fand ihn eher die Straße als er sie.
Praktisch ohne Vorwarnung gelangte er an den Straßenhang. Diesmal rettete ihn sein schneller Reflex davor, den Abhang hinunterzupurzeln. Er setzte sich auf den Hintern und rutschte abwärts.
Die Sonne strahlte auf das unberührte weiße Band. Im ersten Moment blendete ihn das Gleißen nach dem schattigen Wald. Die Augen abgeschirmt, suchte er den Himmel nach dem Hubschrauber ab. Er war so laut, dass man meinen konnte, er würde direkt über seinem Kopf stehen, aber er konnte ihn nirgendwo entdecken.
»Ben Tierney!«
Wes und Dutch waren aus dem Wald getreten und standen oben am Straßenhang. Zwei Gewehre waren auf ihn gerichtet. Die langen, schlanken Läufe bohrten sich bedrohlich durch das grelle Sonnenlicht. Dutch hatte beide Augen geöffnet. Genau wie Wes. Die beiden wussten, wie man schießt. Wie man trifft. Wie man tötet. Das reinste Scheibenschießen.
Wahrend er die Hände hob, meinte er die Stimme seines Großvaters zu hören, der diesen Ausdruck öfter gebraucht hatte. Er ließ die Pistole fallen und schubste sie mit dem Fuß weg. »Ich bin unbewaffnet!«
»Perfekt!« Er las die Antwort von Dutchs feixenden Lippen, bevor er den Abzug durchdrückte.
»Da ist die Hütte, Sir.« Collier sprach über das Headset mit Begley. Hoot hatte ebenfalls eines bekommen. Aus reiner Höflichkeit, davon war er überzeugt. Nicht weil es einen taktischen Grund dafür gegeben hätte.
»Wer hätte das gedacht? Sie haben es geschafft.« Begley deutete auf das Schneemobil vor der Hütte. »Wenigstens einer von ihnen.« Er wandte sich über das Mikrophon an den Piloten. »Können Sie das Ding hier absetzen?«
»Die Lichtung ist klein, Sir. Bei dem Wind wird das nicht leicht.«
Collier meinte: »Wenn Sie weit genug runterkommen, können wir uns abseilen.«
Gerade als er das vorschlug, wurde der Helikopter von einer seitlichen Windbö weggedrückt. Instinktiv verhinderte der Pilot, dass sie auf den Boden geschmettert wurden. Als der Hubschrauber sich um die eigene Achse drehte, spürte Hoot den Piepser in seiner Hosentasche vibrieren.
Er schob die Hand in den Mantel und zog den Piepser von seinem Gürtel ab. Perkins hatte den Code für einen sofortigen Rückruf eingegeben. Hoot wühlte sein Handy aus der Tasche und drückte die Kurzwahltaste für Perkins' Nummer.
»Hier drin! Ich bin hier drin!«
Lilly hatte gerufen, sobald sie das Schneemobil näher kommen gehört hatte. Obwohl sie wusste, dass man sie über dem lärmenden Heulen des Motors nicht hören konnte, rief sie immer weiter, bis der Motor erstarb.
»Hier drin!«, rief sie in die plötzliche Stille, die
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