Eisnacht
Tierneys letzte Bedenken, gegen Dutch zu kämpfen, beiseite. Wie konnte ein Mann, der gerade erfahren hatte, dass seine Frau tot war, das fragen? Ihm ging es ausschließlich um seinen verdammten verletzten Stolz und nicht um die Frau, die zu lieben er behauptete. »Und?«, bellte er. »Dutch, der Helikopter.«
Tierney hörte Wes Hamers Warnruf wie aus weiter Ferne, doch Dutch schien ihn überhaupt nicht gehört zu haben, oder falls doch, interessierte er sich nicht dafür. Speichel, Blut und Schweiß tropften von seinem Gesicht auf Tierneys. Der königsblaue Himmel über ihnen wurde am Rand immer dunkler. Tierney blinzelte, doch die schwarzen Punkte vor seinem eingeschränkten Blickfeld wollten nicht weichen.
Wenn er nicht sterben wollte, musste er etwas unternehmen. Und zwar jetzt.
Dutch saß rittlings auf seinem Bauch und stützte sich mit all seinem Gewicht auf die Hände. Tierneys rechter Arm lag nutzlos an seiner Seite. Sein linker war beinahe genauso wenig zu gebrauchen. Die schwächlichen Schläge, die er Dutch damit beibrachte, konnten ihn nicht beirren.
Tierney nutzte die einzige Chance, die ihm blieb. Er hob das Knie an, hielt kurz inne, um seine ganze Kraft in den Quadrizeps zu legen, und rammte das Knie dann in Burtons ungeschütztes Geschlecht, in der Hoffnung, ihn genau unter dem Hoden zu erwischen.
Dutch heulte auf. Augenblicklich löste er seinen Griff um Tierneys Hals. Tierney rollte sich ein, warf seinen Gegner ab und wälzte sich auf ihn, womit er erfolgreich die Position mit ihm getauscht hatte. Er presste den linken Arm wie eine Schraubzwinge über Dutchs Kehle.
Mit mehr Geschick, als er seinem rechten Arm noch zugetraut hätte, hob er die Pistole auf und schoss damit auf Wes Hamer, der quer über die Straße auf sie zugerannt kam. Der Schuss ließ Wes schlitternd anhalten. »Weg mit dem Gewehr, oder der nächste Schuss trifft.«
Es war eine schwache Drohung, aber wundersamerweise wirkte sie. Wes ließ das Gewehr fallen.
Aber dann erkannte Tierney, dass nicht er Wes Angst gemacht hatte. Sondern der Helikopter, der lauter wurde, näher kam, Zeugen brachte.
»Wer hat da gefunkt?«, fragte er Wes keuchend.
»Ritt. William Ritt.«
Ritt? Der bleiche, hagere William Ritt? Dieses Wiesel?
Tierney würde das Warum und Wozu später klären. Im Moment beugte er sich wieder über Dutch, dessen Gesicht aussah wie das des Schurken in einem schlechten Film, ein grausiges Mosaik aus Blut, Eiter und blinder Wut. Er rammte den Pistolenlauf unter Dutchs Kinn. »Ich hätte mehrere gute Gründe, dich umzulegen. Und der wichtigste ist, dass du Lilly geschlagen hast. Ich tue es nur aus einem einzigen Grund nicht - weil ich ihr versprochen habe, dass ich es nicht tun würde.«
Er stützte sich auf der breiten Brust des Mannes ab, kam langsam auf die Füße und versuchte taumelnd das Gleichgewicht zu halten. Die linke Hand erhoben, deutete er auf den nahenden Helikopter. »Wenn einer von euch auf mich schießt werden sie es sehen.«
Dann presste er, wohl wissend, dass er wertvolle zehn Sekunden mit Lillys wertlosem Ex verschwendet hatte, den rechten Arm an den Körper und begann humpelnd die Straße bergauf in Richtung Hütte zu laufen.
Während sie in engen Runden über der Hütte kreisten, rief einer von Colliers Männern: »Elf Uhr.«
Der Pilot lenkte den Hubschrauber herum, und Begley sah, was der Mann aus dem Sondereinsatzkommando gesehen hatte - drei Männer mitten auf der schmalen Straße. Bis zu diesem Moment waren sie hinter der Haarnadelkurve verborgen gewesen. Jetzt hielt der Hubschrauber über die Baumwipfel auf sie zu.
Burton lag flach auf dem Rücken. Hamer stand mehrere Meter abseits. Ben Tierney kämpfte sich den Abhang hinauf, weg von den beiden anderen, und legte dabei eine grellrote Spur aus Blut.
Collier schob die Tür des Hubschraubers zur Seite und ging in Position. »Ich übernehme den Flüchtigen«, sagte er ruhig in sein Kopfmikrophon, während er Tierney ins Visier nahm.
»Nicht feuern!«, bellte Begley. »Das ist nicht unser Mann.«
»Er hat eine Waffe.«
»Nicht unser Mann«, wiederholte Begley.
Begleys Blick wanderte von Tierney zu Wes Hamer, der zu Burton gelaufen war und jetzt neben ihm kniete. Burton schubste ihn beiseite und warf ihn dabei in den Schnee. Im nächsten Augenblick rappelte sich Burton auf und rannte scheinbar ziellos im Kreis herum, bis er sich bückte und sich danach mit einem halbautomatischen Gewehr, das im Schnee gelegen hatte, aufrichtete. Ohne zu
Weitere Kostenlose Bücher