Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
Vom Netzwerk:
weil sie das Gespräch seither tausendmal in Gedanken durchgegangen war. »Da habe ich dir erzählt, dass ich hier in der Gegend eine Berghütte besitze. Ich habe dir aber nicht gesagt, wo sie liegt.«
    »Nein.«
    »Woher weißt du also, dass sie hier ist?«
    Er sah sie nachdenklich an und sagte dann: »Ich kenne diesen Berg in und auswendig. Eines Tages bin ich zufällig auf die Hütte und den Schuppen gestoßen, ohne zu ahnen, dass ich mich auf Privatgrund befinde. Wahrscheinlich habe ich damit Hausfriedensbruch begangen, aber das war keine Absicht. Ich sah das Zu-verkaufen-Schild und rief den Makler an, weil mir das Anwesen gefiel. Dabei habe ich erfahren, dass es dir und deinem Ehemann gehört und dass ihr verkaufen wollt, weil ihr euch scheiden lasst.« Er hob hilflos die Arme. »Daher weiß ich, wo eure Hütte steht.«
    Er warf ihr einen Blick zu, der praktisch jede Nachfrage verbot. Dann sagte er: »Also, wie viel Holz liegt noch im Schuppen? Ein Klafter?«
    Obwohl sie liebend gern weitergebohrt hätte, wieso er so viel über sie wusste, sah sie auch keinen Vorteil darin, das Thema zu vertiefen und böses Blut zu erzeugen. »Viel weniger.«
    »Tja, dann können wir nur hoffen, dass wir gerettet werden, bevor wir die Möbel klein hacken und verfeuern müssen.«
    »Was meinst du, wie lange das dauert? Bis wir gerettet werden, meine ich?«
    Er setzte sich auf das Sofa, wo inzwischen ein Handtuch den Blutfleck auf der Rückenlehne abdeckte, und ließ den Kopf darauf sinken. »Morgen kommt uns höchstwahrscheinlich niemand holen. Eventuell übermorgen. Je nachdem, wie stark der Sturm ist und wie viel Eis sich ansammelt, könnte es auch länger dauern.«
    Sie erinnerte sich an den vorletzten Winter, in dem ein Eissturm die Bergstraße tagelang unpassierbar gemacht hatte. Die Menschen in abgelegenen Gebieten mussten ohne Strom auskommen, weil die Leitungen unter der Last des Eises gerissen waren. In einigen Fällen hatte es Wochen gedauert, bis die Versorgung wieder aufgenommen werden konnte und Normalität einkehrte. Der Sturm, der draußen tobte, sollte der Vorhersage zufolge wesentlich schlimmer werden und länger dauern als der von damals.
    Lilly setzte sich auf das Sofa gegenüber, legte die Decke über Beine und Füße und war gottfroh, dass Tierney an die Socken gedacht hatte. Das nasse Paar hatte sie zum Trocknen über die Lehne eines Barhockers gehängt. Ihre Hosenbeine waren immer noch klamm, aber damit konnte sie leben, solange ihre Füße trocken und halbwegs warm waren.
    »Auf wie viel Grad hast du das Thermostat gestellt?«, fragte sie.
    »Sechzehn.«
    »Hmm.«
    »Ich weiß, das ist nicht gerade kuschelig«, sagte er. »Du solltest sicherheitshalber noch den anderen Rollkragenpullover überziehen. Damit du nicht auskühlst.«
    Sie nickte, machte aber keine Anstalten aufzustehen. »Wie kalt es draußen wohl ist?«
    »Im Wind bestimmt unter fünfzehn Grad minus«, antwortete er, ohne zu zögern.
    »Dann werde ich mich über die sechzehn Grad nicht beschweren.« Sie blickte zum Kamin. »Trotzdem wäre ein Feuer nett.«
    »Stimmt. Aber ich glaube wirklich…«
    »Nein, nein, du hast Recht, wir sollten das Holz aufsparen. Ich habe nur laut geträumt. Ich liebe die Atmosphäre, die ein offenes Feuer schafft.«
    »Ich auch.«
    »Da wirkt jeder Raum gemütlicher.«
    »Genau.«
    Nach kurzem Schweigen fragte sie: »Hast du Hunger?«
    »Mir ist immer noch flau. Aber wenn du hungrig bist, brauchst du nicht auf mich zu warten. Iss etwas.«
    »Eigentlich bin ich auch nicht besonders hungrig.«
    »Du musst mir keine Gesellschaft leisten«, erklärte er ihr. »Ich kann mich selbst wachhalten. Wenn du müde bist oder dich hinlegen willst…«
    »Wirklich nicht.«
    Sie würde auf gar keinen Fall einschlafen und dadurch riskieren, dass er in Ohnmacht und möglicherweise in ein Koma fiel. Er musste noch ein paar Stunden wach bleiben, ehe er gefahrlos einschlafen konnte. Außerdem hatte sie am Nachmittag lang genug geschlafen. Sie hatte nur geredet, um das Schweigen zu überbrücken.
    Jetzt, wo sie verstummt waren, war nichts mehr zu hören außer dem Wind, den Ästen, die gegen den Giebel schlugen, und dem Graupel, der auf das Dach prasselte. Ihre Blicke wanderten durch den Raum, den sie bis auf die Möbel leer geräumt hatten. Es gab wenig, das die Augen ablenkte, und so sahen sie zuletzt einander an. Als sich ihre Blicke verbanden, schien sich der Raum um sie zu schließen, was eine Art nervöser Intimität schuf.
    Lilly

Weitere Kostenlose Bücher