Eisnacht
und er hat zu trinken angefangen.«
»Wie kommt's?«
»Familiäre Probleme, glaube ich.«
»Auch egal, jedenfalls haben sie ihn gefeuert. Jetzt fällt es mir wieder ein.« Begley hatte seine persönlichen Dinge zusammengesammelt, darunter sein Handy, das gerahmte Foto seiner Ehefrau seit dreißig Jahren und ihrer drei Kinder sowie die Bibel. Jetzt zerrte er den Mantel vom Haken und schlüpfte hinein.
»Nehmen Sie den ganzen Kram mit.« Er deutete auf die Unterlagen in Hoots Schoß. »Ich werde das unterwegs lesen, während Sie fahren.«
Hoot stand auf und warf einen argwöhnischen Blick aus dem Fenster, hinter dem sich die Dunkelheit über die Stadt senkte, »Sie meinen, Sie wollen… wir fahren noch heute Abend?«
»Jetzt sofort, verflucht noch mal.«
»Aber Sir, der Wetterbericht…«
Dafür handelte er sich einen unverdünnten, ungebremsten Nussknackerblick ein.
Er blieb standhaft, auch wenn er sich kurz räusperte, bevor er fortfuhr. »Es werden Rekordminustemperaturen vorhergesagt, dazu Eis, Schnee und Sturmböen, vor allem in diesem Teil des Staates. Wir werden direkt da reinfahren.«
Begley deutete auf das Pinnbrett. »Wollen Sie eine Vermutung wagen, was diesen jungen Damen widerfahren ist, Hoot? Was glauben Sie, welcher kranken Folter unterzieht dieser Wichser seine Opfer, bevor er sie umbringt?
Ich weiß, ich weiß, wir wissen nicht mit absoluter Sicherheit, dass sie tot sind, weil noch keine einzige Leiche aufgetaucht ist. Ich würde zu gern glauben, dass wir sie alle lebendig und putzmunter aufspüren, aber ich befasse mich mittlerweile seit über dreißig Jahren mit dieser Scheiße.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge, Hoot, es sieht ganz so aus, als würden wir irgendwann ein paar Knochen ausgraben, weil sonst nichts mehr von diesen Ladys übrig ist, die alle eine Zukunft, Träume und viele Menschen hatten, die sie liebten. Also, können Sie ernstlich in die Gesichter auf diesen Bildern blicken und sich immer noch über etwas schlechtes Wetter beklagen? Hmm?«
»Nein, Sir.«
Begley drehte sich um und marschierte aus der Tür. »Dachte ich mir.«
Tierney hatte mit einer schnellen Bewegung die Mütze vom Kopf gezogen. Lilly hatte mit dem Handtuch bereitgestanden. Das war vor fünfzehn Minuten gewesen, aber die Kopfwunde blutete immer noch. Das Handtuch war fast durchtränkt. »Wunden am Kopf bluten immer so stark«, sagte er, als sie sich besorgt zeigte. »Die vielen Kapillaren da oben.«
»Hier ist ein frisches Handtuch.« Sie reichte es ihm und nahm ihm das blutige ab.
Er gab es nicht her. »Du brauchst es nicht anzufassen. Ich bringe es ins Bad. Ich nehme an, das ist da drin?« Er deutete auf die Tür zum Schlafzimmer.
»Und dann rechts.«
»Ich werde mir das Blut aus den Haaren waschen. Vielleicht hilft das kalte Wasser, die Blutung zu stillen.« Wankend wie ein Betrunkener ging er ins Schlafzimmer, aber noch in der Tür stemmte er sich gegen den Rahmen und drehte sich wieder um. »Füll währenddessen weiter jeden verfügbaren Behälter mit Wasser. Die Rohre frieren bestimmt bald zu. Wir brauchen Trinkwasser.« ' Dann verschwand er, und das Licht im Schlafzimmer ging an. Er hatte eine verschmierte Blutspur am Türrahmen hinterlassen, fiel ihr auf.
Als er gesagt hatte: »Lobet den Herrn! Endlich bin ich wieder Tierney«, hatte er ihr das entspannte, lockere Lächeln geschenkt, das ihr aus dem vergangenen Sommer in Erinnerung war. Damit hatte er ihre nervöse Verlegenheit weggespült, die ihr inzwischen albern und pubertär vorkam.
Sie wusste nicht viel über ihn, aber er war ihr auch nicht völlig fremd. Schließlich hatte sie einen ganzen Tag mit ihm zusammen verbracht. Sie hatten sich unterhalten. Miteinander gelacht. Seither hatte sie seine Artikel gelesen und erkannt, dass er ein respektierter Autor war, der oft veröffentlicht wurde.
Warum also hatte sie sich aufgeführt wie eine dumme Göre?
Nun, zum einen, weil dies eine bizarre Situation war. Solche Missgeschicke widerfuhren anderen Menschen. Von solchen bemerkenswerten Überlebenserfahrungen hörte man nur aus den Medien. Lilly Martin passierte so etwas auf keinen Fall.
Und doch war sie hier, kramte in einer Küche herum, die ihr nicht mehr gehörte, und suchte nach Behältern, um sie mit Wasser für sich und einen Mann zu füllen, den sie kaum kannte und mit dem sie möglicherweise tagelang in einer engen Hütte eingesperrt bleiben würde.
Zugegeben, wäre Tierney nicht ganz so attraktiv und so unerhört männlich,
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