Eisnacht
Nacht bestimmt nicht rauslassen.«
Der Dispatcher hob die massigen Schultern zu einem Achselzucken, ohne den Blick von der Schießerei mit John Wayne zu wenden, die in dem kleinen Schwarzweißfernseher lief. »Was erwarten Sie von einer Irren, die in ihrer Freizeit Mülltonnen durchwühlt?« Es war allgemein bekannt, dass Mrs Kramer im Schutz der Dunkelheit gern mit übergezogenen Gummihandschuhen in fremden Mülltonnen stöberte. Kaum zu glauben.
Dutch knüllte den Zettel zusammen und feuerte ihn in den überquellenden Papierkorb. Die anderen Memos steckte er in die Hemdtasche. Er würde sich später darum kümmern, aber erst, wenn er Lilly vom Cleary Peak heruntergeholt hatte. Für mehr interessierte er sich heute Morgen nicht - er wollte Cal Hawkins so weit bringen, dass er den Streulaster den Berg hochbugsierte, um sie zu retten.
Na schön, es schneite immer noch wie in Sibirien. Na schön, unter dem Schnee lag eine zentimeterdicke Eisschicht. So lauteten die Einwände, die Hawkins mühsam hervorstammelte, und sie waren berechtigt. Aber es wäre bestimmt nicht so schwierig wie letzte Nacht, als sie sich durch die Dunkelheit kämpfen mussten. Wenigstens hatte Dutch das eingewandt.
Als sein Blick auf sein Bild in dem Spiegel hinter der Kaffeetheke fiel, sah er genau das, was die FBI-Agenten sehen würden - einen ausgebrannten Loser. Er hatte bis zum Morgengrauen in seinem Schreibtischsessel geschlummert, aber sein Schlaf wurde immer wieder von irritierenden Gedanken an Lilly und daran, was sie wohl gerade tat, unterbrochen. Und was Ben Tierney gerade tat. Was sie miteinander taten.
Bevor er die Zentrale verlassen hatte, hatte er sich an dem winzigen Becken in der Herrentoilette mit etwas Seife und einem stumpfen Einwegrasierer in lauwarmem Wasser frisch gemacht und rasiert. Hätte er früher gewusst, dass ihn das FBI ins Visier nehmen würde, wäre er heimgefahren, um zu duschen und eine frische Uniform anzuziehen.
Jetzt war das nicht mehr zu ändern.
»Wie steht's mit dem Kaffee?«, fragte er Ritt.
»Noch ein, zwei Minuten. Ich bringe ihn rüber.«
Nachdem ihm keine Gründe mehr einfallen wollten, um das Gespräch noch weiter hinauszuzögern, drehte sich Dutch zu der Sitznische um, in der die beiden Agenten wie lauernde Geier über einem verendeten Tier hockten. Der Ältere blickte betont auf seine Armbanduhr.
Arschloch, dachte Dutch. Glaubten sie vielleicht, sie könnten ihn rumkommandieren? Offenbar schon, sonst hätten sie dieses Treffen nicht einfach angeordnet, ohne ihm Bescheid zu sagen.
Er war gerade von Hawkins' Haus losgefahren, als Harris sich über Funk gemeldet hatte. Der junge Polizist hatte atemlos geklungen und vor Aufregung gestottert, aber schließlich hatte Dutch begriffen, was er ihm ausrichten sollte: ein Treffen mit den Typen vom FBI im Drugstore. »In einer halben Stunde, hat er gesagt.«
»Wer? Special Agent Wise?«
»Nein«, erwiderte Harris. »Der andere. Älter. Hat sich als Special Agent in Charge vorgestellt.«
Absolut genial. »Wo sind sie Ihnen über den Weg gelaufen?«
»Äh, also, ich glaube, das darf ich nicht sagen. Er hat gesagt, ich soll über Funk keine Namen nennen.«
»Wieso will er mich sehen?«
»Auch das soll ich über Funk nicht sagen.«
Dutch fluchte leise. Was war verflucht noch mal mit Harris passiert? Hatten sie ihn verhext? »Na gut, wenn sie im Drugstore sind, sobald ich dort bin, dann meinetwegen. Aber ich werde bestimmt nicht auf sie warten.«
»Ich glaube nicht, dass Sie sich mit diesem Typ anlegen wollen, Sir.«
Dutch konnte es gar nicht leiden, wenn jemand seine Autorität in Frage stellte, und am wenigsten mochte er es, wenn das seine Untergebenen taten. »Ich glaube, er wird sich auch nicht mit mir anlegen wollen.«
»Nein, Sir«, bestätigte Harris. »Aber der SAC meinte, es wäre wichtig, dass Sie ihn noch heute Morgen treffen. Und so wie er es gesagt hat, war es, als… na schön, als wäre er stinksauer, wenn Sie nicht auftauchen. Nur meine Meinung, Sir.«
Jetzt, nachdem Dutch den SAC mit eigenen Augen gesehen hatte, teilte er Harris' Meinung. Ein Blick, und Dutch hatte ihn als humorlosen harten Hund eingestuft. Er hatte in Atlanta mehr als genug Erfahrung mit solchen Typen gesammelt. Der Typ war ihm vom ersten Augenblick an unsympathisch.
Betont langsam schlenderte er zu der Sitznische hinüber und ließ sich den beiden gegenüber nieder. »Morgen.«
Wise stellte sie einander vor. »Police Chief Dutch Burton, das ist SAC Kent
Weitere Kostenlose Bücher