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Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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ich mal eine ganz ausgeklügelte Kundenbindung.
    »Und? Weihnachten überlebt?«
    »Es war noch schlimmer als sonst«, sage ich.
    »Wie das denn?«, fragt der Faller. »War der Weihnachtsmann persönlich da und hat Sie gequält?«
    »Das war nicht nötig«, sage ich. »Das hat meine Mutter übernommen.«
    »Ihre Mutter? Seit wann gibt’s die denn? Lebt die nicht in den USA?«
    »Sie wollte an Weihnachten nicht alleine sein. Ihr Mann ist gestorben.«
    Der Faller zieht die Augenbrauen hoch.
    »Spinnt die?«
    »Ich war völlig überfordert, Faller. Sie stand an Heiligabend plötzlich vor der Tür und ist einfach dageblieben. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, meine Nerven sterben ab, oder so was.«
    »Wo ist sie jetzt?«, fragt er.
    »Im Flieger nach Amerika«, sage ich.
    »Gott sei’s gelobt und getrommelt«, sagt der Faller. »Glauben Sie, dass sie noch mal auftaucht?«
    »Nein«, sage ich. »Wenn sie nicht völlig amputiert ist, hat sie begriffen, dass sie das nicht tun sollte.«
    Meine Limonade kommt, und dann kommen auch meine Pommes. Ich hab keinen Appetit. Aber der Faller achtet ganz genau darauf, dass ich auch schön aufesse.
    Als wir draußen auf der Straße sind, hakt er sich bei mir unter, wir gehen die paar Schritte bis zu mir eng aneinandergedrückt. Hamburger Wintergang gegen schnittiges Wetter. Der Faller weiß immer, wann ich das nötig habe. Ich bin froh, dass ich ihm von meinem Besuchshorror erzählt habe. Es einfach niemandem zu sagen hat ja auch nicht geholfen. War keine gute Idee gewesen. Mal sehen, vielleicht lerne ich ja doch irgendwann mal was dazu.
    Als wir auf Höhe des Paulinenplatzes sind und ich mich gerade frage, ob ich dem Faller eigentlich was von dem verschwundenen V-Mann sagen sollte, wo wir schon so in Sabbel-Laune sind, klingelt mein Telefon.
    »Hallo?«
    »Tschauner hier.«
    »Hey, Tschauner«, sage ich. »Was gibt’s? Redet Patric Kober jetzt doch?«
    »Nein«, sagt er, »da dringt nichts nach außen. Aber die Gerichtsmedizin hat angerufen, wegen dem toten Obdachlosen.«
    Ich bleibe stehen, der Faller lässt meinen Arm los.
    »Und?«, frage ich.
    »Der alte Mann ist nicht an den Schlägen gestorben«, sagt er, »er ist erfroren. Vermutlich lag er die Nacht über auf dieser Treppe.«
    Erfroren. Wie kann es in einer so reichen Stadt eigentlich möglich sein, dass Menschen erfrieren?
    »Und, was für uns wichtig sein könnte«, sagt der Tschauner, »er hat sich nicht gewehrt. Er hat sich prügeln lassen wie ein Sandsack. Hat wahrscheinlich nicht mal gezuckt.«
    »So was gibt’s doch gar nicht«, sage ich. »Da muss man schon vollkommen im Eimer sein, oder?«
    »Richtig.«
    »Wie hoch war denn der Alkoholgehalt im Blut?«, frage ich. Ich tippe auf Delirium tremens.
    »Das ist sehr merkwürdig«, sagt der Tschauner. »Sein Pegel war für einen Schlucki relativ gering, eigentlich so gut wie gar nichts. Null Komma sechs Promille.«
    Ist ja wirklich nicht viel. Vielleicht ein Bier. Zwei Bier für einen geübten Trinker. Davon erfriert man beim besten Willen nicht.
    »Sonst was gefunden? Irgendwelche Drogen?«
    »Nein«, sagt er, »rein gar nichts.«
    Ich lege auf und sage zum Faller: »Das finde ich immer schlimm, wenn die Leute sich nicht wehren.«
    Ich hole tief Luft, dann wird mir klar, wo mein Haken sitzt. Dass es mir gerade, genau jetzt, gar nicht um den toten Obdachlosen geht.
    »Und am schlimmsten ist«, sage ich, »dass ich mich selbst auch nicht gewehrt hab. Ich Flachpfeife. Da krieg ich Besuch von meiner Zombiemutter, und was ist – ich wehre mich nicht für zehn Cent. Schlimm, Faller. Schlimm.«
    Der Faller rückt meine Mütze zurecht und streicht mir über die Wange.
    »Seien Sie nicht so streng mit sich selbst, mein Mädchen. Man muss gar nicht immer so streng mit sich sein.«
    Ich drücke meine Wange ganz sachte gegen seine Hand, bin dankbar, dass es ihn gibt, und denke: Man muss sich auch nicht alles erzählen.
    Ein an den Albaner verlorener V-Mann würde dem guten alten Faller nur wie ein Messer im Gehirn sitzen.
    *
    Als ich meine Wohnungstür aufschließe, knallt mir die Kerbe, die mir mein Leben geschlagen hat, mit voller Wucht ins Herz: Meine Mutter ist weg, und mein Vater ist tot.
    Ich sollte Carla anrufen.
    Ich sollte Klatsche anrufen.
    Ich sollte schnell wieder raus hier und ziellos durch die Gegend rennen.
    Ich sollte meine Wohnung ausräuchern.
    Womit macht man das gleich? Mit Salbei, oder?
    Ich lege mich auf den Wohnzimmerfußboden und starre an die Decke.

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