Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Ich bin so allein, mir zerreißt es gleich den Bauch. Und Salbei hab ich auch nicht im Hause. Weil ich nie irgendwas im Haus hab.
*
Später am Abend, ich weiß nicht, wie lange ich da schon so auf dem Boden gelegen habe, ruft der Inceman an. Den Bauch hat es mir nicht zerrissen, aber meine sich generell eher in Einzelteilen durchs Leben bewegende Seele sitzt in den vier kalten Ecken des Zimmers und weigert sich, da wieder rauszukommen. Nein danke, keine Decken. Bloß keine Decken. Lohnt sich nicht. Die Kälte kommt von innen.
»Du hörst dich an, als wärst du gerade ohnmächtig gewesen«, sagt er.
Hm.
»Ist schon okay«, sage ich.
»Ich bin in zehn Minuten da.«
Ach.
*
Der Vollmond kriecht über die Dächer und taucht Sankt Pauli in Flutlicht. Im ersten Moment denke ich, dass wohl ein Fußballspiel sein muss, so hell glitzert der Schnee auf den alten Ziegeln und Antennen. Aber wir sind hier ja nicht auf der Insel. In England wird um diese Zeit gespielt, da ist der Fußball heiliger als Weihnachten. In Deutschland ist das natürlich nicht so.
Der Inceman hat sich einfach zu mir gelegt, in Jacke und Stiefeln, er hat es genauso gemacht wie ich. Er hat meine Seelenstücke aus den Ecken geklaubt und sie mir wieder reingestopft. Dann hat er mich geküsst, damit die Seele auch bleibt, wo sie ist. Und so liegen wir jetzt da. Ich in meinem Mantel, er in seiner schwarzen Daunenjacke, er hat mich fest im Arm, und wir sehen uns den erleuchteten Himmel an, und als Klatsche an meine Tür klopft, weiß ich, dass es jetzt so weit ist. Ich erkenne ihn am Klopfen. Und ich erkenne die Zeichen: Es ist Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
Ich schäle mich vom Boden, der Inceman setzt sich hin und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand, und es dauert eine Ewigkeit, bis ich an der Tür bin, meine Schritte wurden offensichtlich mit Spezialkleber am Holzfußboden festgeleimt.
»Hey«, sagt er, lehnt im Türrahmen.
Ich sage nichts, trete nur ein Stück zur Seite, damit er den Inceman an den Wand sitzen sehen kann.
»Wer ist das?«
Ich sehe ihn an. Erst kriege ich kein Wort heraus, dann die falschen: »Das mit uns, das war doch nie so richtig ernst, oder?«
»Das ist nicht wahr, Chastity.«
Er schüttelt den Kopf, senkt den Blick.
»Das ist totaler Blödsinn. Du spinnst.«
Ich weiß, dass es Blödsinn ist. Wir waren kein Spiel. Wir waren etwas Gutes. Aber das krieg ich jetzt nicht über die Lippen.
Und dann ist er auch schon in meiner Wohnung. Zwei, drei große, entschlossene Schritte, zack, was soll der Scheiß hier. Der Inceman steht schon mal auf, als wüsste er, was gleich kommt. Klatsche schnappt ihn am Kragen, zieht ihn dicht vor sein Gesicht und zischt:
»Wenn du ihr weh tust, mach ich dich platt.«
Dann schmeißt er ihn gegen die Wand. Der Inceman lässt es mit sich geschehen. Ich kann in seinem Gesicht sehen, dass er Klatsches Schmerz kennt und dass es ihm leidtut.
Klatsche bleibt noch mal kurz bei mir stehen, bevor er meine Wohnung und mich und alles, was wir waren, hinter sich lässt. Seine grünen Augen funkeln.
»Du blöde Kuh«, sagt er. »Wann fängst du endlich mal an, an die Liebe zu glauben?«
28. Dezember:
Knock-Out
D ie holen wir uns jetzt alle hierher«, sagt der Inceman.
Er sitzt an seinem Schreibtisch im Polizeipräsidium und klickt mit einem Kugelschreiber auf der Stuhllehne rum. Diklacke-diklacke-diklacke. Ich sitze ihm gegenüber auf dem Tisch. Wir haben Kaffeetassen in der Hand und seit jetzt keinen Urlaub mehr. Der Inceman war sowieso durch damit, und ich hab die Personaltante heute Morgen angerufen und ihr gesagt, dass sie sich gehackt legen kann. Der Tschauner hat gestern Abend noch Larissa von Heesen zum Reden gebracht, zumindest ein bisschen. Sie hat die Namen der anderen drei Jugendlichen rausgerückt. Leander Jansens Familie wohnt am Winklers Platz, Benjamin Westermann wohnt mit seinen Eltern und einer kleinen Schwester in der Bernstorffstraße. Katinka Ilicevic, das ist die Freundin von Larissa, die im Wohlers Park so gefroren hat, wohnt mit ihrer Mutter in der Thadenstraße.
»Die knöpf ich mir vor, die kleinen Biester«, sagt der Inceman.
»Dafür bist du gar nicht zuständig.«
»Sag du mir, dass ich zuständig bin, und ich bin’s.«
Das Klicken seines Kugelschreibers wird lauter.
»Wir müssen jetzt langsam mal eine Schippe drauflegen«, sagt er. »Die Kollegen durchsuchen inzwischen nicht mehr nur Sankt Pauli, sondern auch Teile von Altona und der Neustadt. Und keine
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