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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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sie zu Hause ist? Was geht wohl in ihr vor? Ist sie komplett ausgerastet, als sie die Fotos gesehen hat?
    Sie sieht sie vor sich sitzen an dem kleinen Küchentisch. Vor sich hat sie die fünf Bilder liegen. Starrt immer wieder auf sich und Carl. Sie wird enttäuscht sein. Sich über sich selber ärgern. Sie wird wütend sein. Wird sie wütend genug sein, um vielleicht zur Polizei zu gehen? Wird sie unbekannten Beamten die Fotos zeigen, auf denen man sie mit einem Schüler sieht? Mit viel nackter Haut. Mit feucht glänzenden Lippen? Wird sie dahingehen und sagen: Guten Tag, ich bin eine perverse Lehrerin, die ihren Schüler verführt, aber 50 . 000 war die Nummer echt nicht wert.
    Wird sie das sagen?
    Zoe hofft nicht.
    Auf dem Tisch steht eine große Holzschale mit Chips und Nachos. Sie hat seit gefühlten Ewigkeiten nichts gegessen. Ihr Magen hat sich schon zusammengezogen. Bis gerade hat sie nicht mehr gefühlt, wie hungrig sie ist. Jetzt wird es ihr bewusst. Aber sie greift nicht zu. Sie will diese Schwäche vor ihren Eltern nicht eingestehen. Außerdem weiß sie: Wenn sie jetzt zugreift, wird ihre Mutter sofort fragen, ob sie überhaupt was gegessen hat. Ob sie ihr noch was machen soll. Egal, was sie dann sagt: Ihre Mutter wird ihr ein Brot machen, weil das vielleicht das Einzige ist, was sie für ihre Tochter noch machen kann. Zoe beherrscht sich. Irgendwann steht sie schnell auf.
    »Ich glaube, ich habe Franzi gehört. Ich guck mal eben.«
    Natürlich schläft Franziska tief und fest in ihrem Bett.
    Zoe streichelt ihr über die Haare. Sie hat sie lange nicht so angesehen. So frei von allem. So offen. Egal, ob sie wach war oder schlief, ob sie nah oder weit weg war, Zoe hat immer dieses »Du warst es. Du warst es. Du warst es« gespürt.
    Das ist plötzlich weg. Da ist ein bisschen Staunen. Wie friedlich Franziska aussieht. So entspannt. Zoe spielt mit den dunklen Haarsträhnen der Schwester. Sie traut sich an die Frage, wie es wohl gewesen wäre … Wenn sie nie diese Schuld, diese Wut, diesen Zorn, diese Selbstverachtung empfunden hätte. Nie diese Scham. Das Gefühl, dass alles unwichtig ist.
    Zoe verlässt schnell den Raum. Sie hat keine Lust darauf, jetzt melancholisch zu werden, sie merkt, dass der Selbstmitleidshahn schon tröpfelt. Sie muss ihn abstellen. Sie setzt sich wieder zu ihren Eltern.
    »Hatte mich verhört. Sie schläft.«
    »Können wir dir helfen?« Stefan Kessler versucht sachlich zu klingen, aber seine Stimme zittert leicht. Die Sorge, die Angst um seine Tochter liegt in der Luft.
    »Nein.« Zoe klingt sachlich. »Ich gehe schlafen.«
    Sie erhebt sich und schiebt sich doch schnell ein paar Nachos in den Mund. Sie schläft sofort ein. Sie fällt in eine Art Koma. Mitten in den Tiefschlaf schleichen sich ein paar Bilder. Sie und Carl auf einer riesigen Wiese. Sie liegt da, sieht nur hochgewachsenes Gras um sich rum. Sie liegt da wie in einer Art Nest. Unsichtbar für alle. Carl tut nichts. Sie fassen sich nicht an. Er ist nur da, allein das reicht ihr schon, um sich sicher zu fühlen. Sicher und ein bisschen kribbelig. Sie wacht auf und fühlt ein anderes kribbelndes Gefühl. Was ist mit Enya Alt? Sie muss es einfach wissen. Sie duscht kalt, um richtig wach zu werden, zieht sich schnell an und trifft in der Küche auf ihre Eltern.
    »Guten Morgen. Es tut mir leid, dass ich euch gestern wegen des Museums angelogen habe. Das war nicht gut. Aber mit dem Referat, das stimmt. Und ehrlich gesagt, bin ich da ein bisschen im Verzug. Ich hatte in letzter Zeit irgendwie den Kopf nicht frei. Carl und ich wollen uns deswegen heute schon eine Stunde vorher treffen. Deswegen muss ich jetzt schon los. Aber macht euch keine Sorgen, meine Versetzung ist nicht gefährdet«, grinst sie schief. Sie weiß, dass sie sich beeilen muss.

Tote Fenster
    D ie Wohnung guckt sie genauso an wie gestern. Die Fenster sind geschlossen, verraten nichts. Die Position der Vorhänge hat sich nicht verändert. Als wäre niemand da. Als hätte Enya Alt vorgestern ihren Koffer gepackt und wäre für eine Woche nach Malle geflogen. Oder sonst wo hin.
    Und wenn sie wirklich krank ist? Schwer krank? Hätte sie dann die Vorhänge bewegt? Die alte Luft gegen neue getauscht? Wohl kaum. Zoe schafft es tatsächlich immer noch, den Gedanken, dass die Lehrerin sich etwas angetan haben könnte, zu verdrängen. Dass sie womöglich in panischer Verzweiflung ein ganzes Röhrchen Schlaftabletten in sich hineingekippt hat. Zoe unterdrückt das Bild

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