Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
mit aller Kraft.
Sie starrt in die erste Etage hoch. Was will ihr das alles sagen? Sie versteht es nicht.
Obwohl sie trampelt, bis sich der Schweiß durch das T-Shirt drückt, kommt sie zu spät. Atemlos lässt sie sich neben Carl in die Bank fallen.
»Ich glaube, sie ist nicht zu Hause«, raunt sie ihm zu.
»Bist du bescheuert?«, fährt er herum. Sein Gesicht ist für einen kurzen Moment nah an ihrem. Sie weicht zurück. Er war lauter als beabsichtigt. Fast alle haben es gehört. Zoe sieht, wie Saskia und Kim sich höhnisch angrinsen.
»Wolltest du dir schon mal ein paar Scheine abholen, weil du in der Stadt eine geile Jeans gesehen hast, oder was?«, zischt Carl jetzt wesentlich leiser. Zoe schweigt, fühlt sich gedemütigt.
In der kurzen Pause dreht Carl sich sofort zu ihr rum. »Sorry, dass ich gerade so laut war.« Er streicht sich den langen Pony aus der Stirn. »Ich habe mir nur gerade Sorgen gemacht, dass du den Druck nicht aushalten kannst.«
Zoe ist besänftigt. Immerhin macht Carl sich noch Sorgen um sie. Wenn auch der Anlass nicht ganz passend ist.
»Wie kommst du darauf, dass sie nicht da ist?«
»Ich weiß nicht genau. Die Fenster sehen von außen so tot aus. Wie tote Fischaugen.«
Der Karpfen fällt ihr ein. Hoffentlich fragt Carl jetzt nicht nach seinem Geschenk. Zoe hat jetzt erst erfahren, wie scheißteuer die Viecher sind. War wahrscheinlich nicht so einfach, den Fisch irgendwo heimlich zu klauen.
»Die Fenster sehen tot aus?«
»Ich weiß, dass das ungewöhnlich klingt. Aber sie sind alle geschlossen, und es sieht so aus, als wäre hinter ihnen nichts als Stille.«
»Wie sehen denn Fenster aus, hinter denen ein Fernseher läuft oder ein Radio? Swingen die irgendwie mit?« Carl versucht leicht und ironisch zu klingen.
»Die Vorhänge hingen heute Morgen noch genauso faltig und schlapp wie gestern Abend. Als wären sie durch keinen einzigen Luftzug bewegt worden.«
»Du warst gestern und heute da?« Carl klingt nicht mehr leicht. Zoe nickt nur.
»Ich frage mich einfach, was das soll. Warum sie sich plötzlich abmeldet. Vielleicht ist sie wirklich total krank. Gibt es nicht gerade wieder so einen fiesen Durchfall-Virus, der die Leute massenweise niederrafft? Stell dir vor, die hat so was, irgendwann kommt ein Notarzt und der findet dann die Bilder und die Aufforderung?«
Carl lehnt sich wieder entspannt zurück. »Meinst du wirklich, die Alt hat die Fotos offen auf dem Nachttisch liegen? Meinst du, die guckt die sich dauernd an, weil sie sich selber darauf so scharf findet? Und selbst wenn: Falls dein dubioser Notarzt tatsächlich käme, würde der bestimmt nicht sagen: Mit ihrem Durchfall, das wird schon wieder, aber was haben sie hier für interessante Post? Das kann ich mir nur ganz schwer vorstellen.«
»Was glaubst du denn, warum die abgetaucht ist?«
»Vielleicht fühlt sie sich einfach kacke und ist zu einer Freundin. Vielleicht ist aber auch die Bank, auf der ihr ganzes Geld schlummert, ganz woanders und sie musste da hinfahren, um die Summe persönlich abzuholen. Morgen werden wir es wissen. Morgen ist Zahltag«, grinst Carl.
Zoe ist neidisch. Sie wäre auch gerne so gelassen wie Carl. So überzeugt und optimistisch. Sie schafft es nicht mal annähernd.
Als der Fernseher angeschaltet wird, verspürt sie einen Stich irgendwo zwischen Magen und Milz. Auf dem Bildschirm ist ihr Tanz zu sehen, ihr bunter Farbtanz, bei dem sie nicht mittanzen durfte. Sie sieht wie Caro, Sarah, Kim, Nils und Leo auf der Bildfläche erscheinen. Der Jürgens hat extra den Fernseher in das Klassenzimmer gerollt, damit sie alle ihren Erfolg auf dem Schulfest noch mal genießen können. Leo und Nils lehnen sich stolz in ihren Stühlen zurück.
»Das haben wir echt gut gemacht mit den drei Hühnern da«, lacht Leo.
»Kim hat echt eine super Show hingelegt. Das mit dem Flic-Flac am Schluss war echt cool«, findet Caro. Kim wird knallrot im Gesicht und tut so als wäre nichts.
»Ich muss auch sagen, dass war echt eine heiße Idee. Ihr habt zwar ganz schön rumgesaut mit der Farbe. Aber es hat sich ja gelohnt.« Der Jürgens macht eine bedeutungsvolle Pause. »Wollt ihr gar nicht wissen, wie viele von euren modernen Kunstwerken verkauft worden sind?«
Die Klasse wird ganz leise.
»Fast vierzig. Wir haben fast achthundert Euro eingenommen. Das ist großartig«, jubelt er.
Zoe guckt immer noch weiter auf den Film. Wer immer ihn gemacht hat, er hat auch einen Schwenk in die begeisterten Zuschauer
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