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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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schlecht ich in Mathe bin.«
    »Was tue ich?«
    »Zoe, hör mit dem Spiel auf. Ich weiß sogar genau, was du gesagt hast: Kim ist so blöd in Mathe, dass die sich auf Gleichungen mit Unbekannten freut, weil sie so gerne neue Leute kennenlernt.«
    Zoe starrt sie an. »Das soll ich gesagt haben? Das ist doch totaler Quatsch.«
    »Hör mit deiner verdammten Lügerei auf. Wir haben da keinen Bock mehr drauf. Es ist vorbei.«
    Zoe nimmt ihre Tasche und zieht um. Sie versteht das alles nicht mehr. Sie lässt sich neben Carl nieder, holt ihr Handy raus und beginnt völlig sinnlos alte SMS zu lesen. Sie muss einfach irgendwas tun.

Abgetaucht
    S ie spürt, wie sich jede einzelne Faser, jeder Muskelstrang in ihr zusammenziehen. Der Jürgens steht mit einem schiefen Lächeln vor der Klasse.
    »Ihr habt irgendwie kein Glück mit euren Englischlehrern. Oder sagen wir mal so: Ihr habt einen ziemlichen Verschleiß. Leider hat sich Frau Alt gestern abgemeldet, und so wie es aussieht, wird es wohl ein längerer Ausfall werden. Ich bemühe mich, kurzfristig Ersatz zu finden, heute müsst ihr mit mir Vorlieb nehmen.«
    Er setzt sich hinter das Pult, lässt fantasielos Texte vorlesen. Zoe versucht, einen klaren Gedanken zu fassen. Wieso hat sich Enya Alt abgemeldet? Und: vor oder nachdem sie die Fotos bekommen hat. Und wieso länger? Will sie einfach abtauchen? Packt sie vielleicht gerade Umzugskartons, macht sie sich aus dem Staub?
    »Ich hätte gedacht, dass sie sich bis Mittwoch krankmeldet«, sagt Carl leise.
    »Wieso Mittwoch?«, raunt Zoe zurück.
    »Weil sie da das Geld deponieren sollte. Schließlich kann sie so eine Summe ja nicht irgendwo am Automaten ziehen.«
    »Zoe, liest du bitte den nächsten Absatz?«, hört sie den Jürgens.
    Carl kann ihr erstaunlicherweise die Stelle zeigen, wo die Vorgängerin gerade gestoppt hat. Zoe haspelt sich durch den Text, hat keine Ahnung, was genau sie da vorträgt.
    »Du musst uns nicht anbrüllen. Ich bin zwar schon etwas älter, aber nicht taub«, lacht Herr Jürgens und Zoe merkt, dass sie versucht hat, mit ihrer Stimme das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und den Herzschlag in ihrem Schädel zu übertönen.
    Sie schafft die sechs Schulstunden. Übersteht sie irgendwie, obwohl sie zeitweise kurz vorm Implodieren ist. Gedanken schießen wie Blitze durch ihren Kopf, erlöschen, ehe sie sie packen kann. Wie Stromschläge peitschen sie durch ihren Körper. Sie weiß nicht, was sie denken soll. Ganz tief in ihr brodelt das Gefühl, das irgendetwas schief läuft. Die Ketten um ihre Brust fühlen sich noch enger, noch kälter als sonst an.
    Carl ist direkt nach dem letzten Klingeln weg. Hat sich noch nicht mal verabschiedet. Unschlüssig steht sie vor der Schule, weiß nicht, wohin. Nach Hause will sie nicht. Nicht ihrer Mutter in die Augen blicken, die sie jetzt immer so anguckt, als sei sie eine angefahrene Katze. Sie schleicht immer um Zoe herum, will sie verwöhnen, mit ihr sprechen, andauernd spürt Zoe die Hand ihrer Mutter streichelnd auf ihrem Arm oder ihrem Rücken. Sie spürt deren Hilflosigkeit, aber sie kann ihr nicht helfen.
    Sie ahnt, dass es keine gute Idee ist, aber sie fährt zu Enya Alt. Ihr fällt keine Alternative ein. Sie will sehen, ob da vielleicht schon ein Umzugsunternehmen vor der Tür steht. Oder ob die Lehrerin vielleicht hustend und schniefend vom Arzt kommt und wirklich einfach nur krank ist. Was meinte der Jürgens wohl mit »längerem Ausfall«? Eine ganze Woche? Einen Monat? Für immer? Vielleicht hat sich die Alt auch ein Bein gebrochen oder sich aus Versehen kochendes Wasser über die Hand gekippt. Vielleicht gab es einen Todesfall und sie musste verreisen. Zoe lässt sich an einer Bushaltestelle gegenüber des Hauses auf eine Bank fallen.
    Sie sitzt da wie erstarrt.
    Sie stellt sich vor, Enya Alt kommt jetzt. Sie würde auf die Lehrerin zugehen und ihr erklären, dass Carl das Geld dringend bräuchte. Dass er eine kleine Schwester hat, die behindert ist und nur in den USA behandelt werden kann. Und dass er dafür das Geld braucht und in seiner Verzweiflung habe er diesen Weg gewählt. Die Vorstellung fühlt sich gut an. Es ist später Nachmittag, Zoe hat sogar vergessen zum Tanzen zu gehen. Aber alles, was sonst ihr Leben war, ist unwichtig geworden. Verblasst. Und manches ist gar nicht mehr da. Saskia und Kim haben sich selber einfach ausradiert. Sind aus Zoes Leben verschwunden wie Seriendarsteller, die irgendwo anders ein besseres Angebot bekommen

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