Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
gelungen.
Zoe beobachtet die beiden von ihrem Logenplatz. Nebenan ist Abendbrotzeit. Das Paar sitzt am Tisch vor Käse, Baguette, Butter, Bier. Erst auf den zweiten Blick registriert Zoe, dass die Frau dabei telefoniert. Sie sieht sie lachen und kauen. Der Mann sitzt daneben, isst sein Brot und sieht irgendwie müde aus. Als er fertig ist, bringt er – wie ein wohl erzogenes Kind – seinen Teller und sein Glas in die Küche. Anschließend lässt er sich vor dem Fernseher nieder. Nicht lange. Die Frau, die noch immer am Esstisch sitzt, unterbricht kurz ihr Telefonat, ruft ihrem Mann etwas zu. Er steht auf, macht den Fernseher wieder aus. Zoe ist überrascht. Wieso geht die Frau mit dem Telefon nicht raus? Der Mann steht kurz unschlüssig im Raum, verlässt dann das Wohnzimmer. Die Frau folgt ihm zur Tür. Aber sie geht nicht. Sie schließt die Tür. Dann stellt sie sich in die hinterste Ecke des Wohnzimmers, spricht weiter, guckt immer wieder zur Tür. Offenbar soll ihr Mann etwas nicht hören. Sie sieht fies aus.
Vielleicht spricht sie mit einem Liebhaber, vielleicht diskutiert sie mit einer Freundin die Vorteile von kosmetischen Operationen.
Zoe fasst einen Plan. Und schon durch die Idee wird das Summen in ihrem Kopf ein bisschen leiser. Sie schleicht raus, zur Haustür der Nachbarn. Das Namensschild verrät ihr, was sie wissen muss: Die Leute heißen Schenk. Und sein Vorname ist Christian. Sie heißt Daniela, aber das ist unwichtig. Mit dem Telefon in der Hand stellt sich Zoe wieder an ihr Fenster. Ihr Licht ist immer noch gelöscht. Sie will nicht nur hören, was passiert. Sie will es auch sehen. Und nicht gesehen werden. Ehe sie die Nummer wählt, hat sie leise Musik im Hintergrund angestellt. Daniela geht sofort ran. Das Telefon liegt ja auch noch vor ihr auf dem Wohnzimmertisch.
Zoe gibt sich Mühe, ihre Stimme eine Oktave tiefer rutschen zu lassen. Sie muss auf jeden Fall älter klingen, als sie in Wirklichkeit ist. »Hi. Ist Christian da?«
Zoe sieht, wie diese Daniela sich in ihrer Kuschellandschaft etwas gerader hinsetzt. Dabei zieht sie ihre Jogginghose aus der Poritze.
»Mit wem spreche ich denn?«, will sie wissen.
Zoe hat mittlerweile die Musik ein bisschen lauter gedreht, tut so, als habe sie die Frau nicht verstanden. »Haben Sie was gesagt? Ich wollte eigentlich Chris sprechen«, wiederholt Zoe.
Daniela ist jetzt aufgestanden, steht mit dem Telefon am Ohr irgendwie verloren im Raum.
»Mit wem spreche ich denn überhaupt«, wiederholt sie sehr laut.
»Warum wollen Sie das wissen?«, fragt Zoe ganz naiv zurück.
»Weil ich gerne weiß, mit wem mein Mann telefoniert«, keift die verspannte Daniela zurück.
»Ihr Mann? Oh. Ach so. Dann versuche ich es einfach später auf dem Handy«, sagt Zoe schnell und legt auf.
Daniela guckt ihr Telefon an. Sie scheint völlig durcheinander zu sein. Zoe kann fast ihre Gedanken greifen: »Hat mein Mann eine Frau kennengelernt, ihr zwar Handy- und Telefonnummer verraten, aber leider vergessen zu erwähnen, dass er verheiratet ist?«
Kann ein Mann so blöd sein? Oder so ignorant? Daniela wird sich fragen, ob sie jetzt Gespenster sieht oder ob sie völlig naiv ist, wenn sie denkt, sie sieht Gespenster. Zoe beobachtet sie wie eine interessante Bakterie durch das Mikroskop. Daniela geht nicht zu ihrem Mann, sondern setzt sich grübelnd wieder auf die Couch.
Zoe fragt sich, warum sie nicht ihren Mann zur Rede stellt. Kann sie sich vielleicht überhaupt nicht vorstellen, dass eine andere Frau ihren Christian attraktiv findet? Daniela sitzt mit angezogenen Beinen da, guckt Richtung Fernseher. Zoe kann erkennen, dass die Frau in Gedanken woanders ist. Daniela trommelt ununterbrochen mit den Fingern. Als ihr Mann irgendwann wieder ins Wohnzimmer kommt, guckt sie auf, sieht ihn länger als sonst an. Doch sie sagt nichts. Kein Wort von einem merkwürdigen Anruf. Zoe ist erstaunt. Sie hatte mit einer heftigen Szene gerechnet. Sie hatte fast gehofft, dass diese Daniela hysterisch wird, rumbrüllt, sich absolut lächerlich macht.
Aber Zoe kann sich gedulden. Das war ja erst der Anfang.
Unten am See
U ngefähr zur gleichen Zeit lässt Carl sich ins Gras fallen. Der Boden ist fast noch feucht. Das interessiert ihn nicht. Hauptsache, er hat mal seine Ruhe. Den Nachmittag hat er mit den anderen in der Fußgängerzone abgehangen und sich zu Tode gelangweilt. Die Jungs hatten ein bisschen gepöbelt, sich an verängstigten Gesichtern aufgegeilt. Carl war das fast ein
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