Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
doch voll den Schatten«, flüstert jemand hinter Zoe. Der Direx gilt gemeinhin als leicht durchgeknallt, weil er einfach immer gute Laune hat. Er spricht nicht, er singt fast. Als wäre er dauerbreit.
» Das ist der Carl. Er geht ab sofort in eure Klasse. Eigentlich sollte er erst in der Oberstufe zu uns wechseln, aber wir haben gedacht, er kann auch sofort kommen und uns mal kennenlernen«, freut sich der Direktor. Dass er dabei nicht juchzend in die Hände klatscht, ist alles.
»Ich würde sagen, Carl setzt sich jetzt einfach mal dazu und hört sich an, was Frau Trumm so mit euch macht.«
»Die quatscht uns in den Schlaf«, kommentiert Kim leise.
Zoe hat sich noch nicht bewegt. Wieso kommt dieser Typ ausgerechnet in ihre Klasse? Sie spürt, dass mit dem was nicht stimmt.
»Schau mal, Carl, dahinten ist noch ein Stuhl frei, da kannst du dich ja erstmal hinsetzen«, schlägt die Trumm vor.
»Ich gehe dann mal, du bist ja jetzt hier in guten Händen«, lacht der Direktor.
Zoe lässt sich die Haare leicht vors Gesicht fallen und guckt vorsichtig zu Carl, der ganz langsam zu dem zugewiesenen Platz geht. Er ist nicht sehr groß, auch nicht breit, wirkt aber extrem durchtrainiert. Die Haare fallen hinten auf den T-Shirt-Kragen, der Pony fällt ihm lang in die Stirn. Nicht gestylt, nicht geföhnt. Es ist ihm offensichtlich egal. Er setzt sich sehr gerade hin und guckt gemächlich in die Runde. Während die Klasse ihn verstohlen mustert, taxiert er die Mitschüler ganz offen. Seine Augen erinnern Zoe an einen Schlittenhund. Sehr schmal, sehr hell. Als sich sein Blick nähert, malt sie wieder. Keine kleinen Blumen mehr. Sie malt Kästchen für Kästchen schwarz aus.
In der Pause ist Carl natürlich Thema. Zoe sagt nichts, sie versucht, sich wieder in eine andere Welt zu flüchten. Es braucht keiner mitzubekommen, dass dieser Carl sie irgendwie aufwühlt. Sie fühlt sich von ihm angezogen und abgestoßen zugleich. Doch das Weghören klappt nicht ganz. Die Realität, die Nähe ist zu penetrant.
Als Kim nach ihrem Carl-Monolog abschließend befindet, »der hat echt einen knackigen Po«, reicht es Zoe. Sie holt tief Luft und ätzt: »Die Haare hat er ja irgendwie wie Fynn, oder?«.
Saskia zuckt zusammen. Zoe schaut schnell weg. Sie wollte die Freundin nicht erschrecken. Sie will einfach nichts mehr über diesen Carl hören.
Kim greift das neue Thema sofort auf. »Stimmt ja. Ich habe von so einem Fynn gehört. Was geht da eigentlich?«, wendet sie sich an Saskia.
Die verdreht die Augen. »Fynn ist so ein Typ aus dem Ruderclub. Er hat mir geholfen, die Boote fit für die neue Saison zu machen. Die müssen in jedem Frühling überholt werden.«
»Und wie ist Fynn so?«, bohrt Kim weiter.
Saskia zuckt die Schultern. »Irgendwie niedlich«, sagt sie irgendwann.
»Niedlich? Junge Hunde sind niedlich. Oder Babys. Ein Typ kann doch nicht niedlich sein«, antwortet Kim irritiert.
Zoe findet, dass Saskia Fynn perfekt beschrieben hat. Sie ignoriert, dass Saskia sie böse anguckt. Hauptsache, das Thema Carl ist erst mal vom Tisch. Sie muss ihn erstmal verdauen, verarbeiten. Klein machen.
»Was denn für ein Lied?«, fragt ihre Mutter völlig überrascht, als Zoe sie ausquetscht.
»Weißt du nicht mehr? Das war im Radio und du hast es auf volle Lautstärke gedreht und wild dazu getanzt.«
»Und? Sah es gut aus?«, fragt ihre Mutter kokett.
»Für eine Frau in deinem Alter war es okay«, grinst Zoe.
Sonja Kessler schleudert das Trockentuch, mit dem sie gerade Gläser bearbeitet, nach ihrer Tochter.
»Ich kann mich gar nicht erinnern, in den vergangenen Jahren überhaupt getanzt zu haben«, überlegt ihre Mutter.
»Vielleicht war es auch kein Tanz. Du hast dich zumindest bewegt. Ziemlich raumgreifend«, kommentiert Zoe.
»War der Song auf Deutsch oder Englisch?«
»Englisch natürlich. Und am Anfang waren unheimlich viele Bässe. Gesungen hat eine Frau mit einer Stimme wie Glas.«
Zoes Mutter überlegt.
»Du hast mir sogar gesagt, wie die Band hieß. Ich habe es aber vergessen. Irgendwas mit moll.«
»Wieso willst du überhaupt wissen, zu welchem Song ich vor mehreren Wochen meine alten Knochen geschwungen habe?«
»Der Song hatte irgendwie Power. Und ich brauche ein Lied für eine Tanz-Performance. Ich glaube, der könnte dazu passen.«
»Du teilst meinen Musikgeschmack? Was für eine Ehre«, freut sich Sonja Kessler. Und sie meint es ernst.
Plötzlich erhellt sich ihr Gesicht. Sie geht ins Wohnzimmer, wühlt
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