Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
der letzte Song des vermeintlichen Popstars verklungen und alle glücklich sind, greift Kim theatralisch zu einem Tempo. »Ich liebe Hilary. Sie ist einfach so zuckersüß. Und ich finde, ich bin ihr auch irgendwie ähnlich«, verkündet sie und guckt in die Runde. Die Mädels verdrehen die Augen.
Schließlich greift Lilly mit wichtigem Gesichtsausdruck unter die Couch und hält eine zweite DVD hoch. »Das dürfte dir dann auch gefallen. Hier ist Greta. Der Spaß mit Hilary Duff geht weiter.«
Die vier Mädchen lassen sich in die Geschichte der 17 -jährigen Greta fallen, die zu Oma und Opa in ein verschlafenes Küstenstädtchen verfrachtet wird. Hier leidet Greta in großem Stil, fällt von einer Melancholie in die nächste, um sich dann in einen Aushilfskoch zu verlieben. Atemlos verfolgen die Freundinnen ihr Idol mit dem depressiven Augenaufschlag und der brüchigen Stimme und genießen es in vollen Zügen.
Nachdenklich geht Zoe nach Hause. Die Sache mit dem Koch hätten sie nach ihrem Geschmack weglassen können, aber diese Trauerwolke, in der diese Greta lebte, dieses latent suizidale, das hat ihr irgendwie gefallen. Niemals würde sie selber auf die Idee kommen, sich etwas anzutun. Das könnte sie ihren Eltern auf keinen Fall zumuten. Aber sich der Depression, der Trauer so zu überlassen, das hat ganz kurz für sie etwas Verlockendes. Sie würde sich gerne mal so wegspülen lassen von all der Bitterkeit und der Verzweiflung. Aber das geht ja nicht. Sie ist Zoe, die Starke. Sie muss funktionieren, darf nicht auch noch Kummer bereiten. Es ist doch schon so schwierig genug für ihre Eltern.
Zu Hause setzt sie die Kopfhörer auf, lässt sich wieder von den Trommeln hypnotisieren, einfangen. Sie tanzt, bis ihr T-Shirt am Rücken klebt und sich ein paar Härchen verklebt im Nacken kringeln. Sie hat die Stimme zum Schweigen gebracht, niedergetanzt. Sie hat sich nach der Dusche gerade trocken und feuerrot gerubbelt, als ihre Mutter mit Franziska ins Bad kommt.
»Hilfst du mir sie zu baden?«, fragt ihre Mutter.
Franziska gluckst schon. Sie liebt das Wasser.
»Klar«, antwortet Zoe und steigt schnell in ihre Jeans. Sie hält die kleine Schwester, während ihre Mutter sie vorsichtig wäscht. Übermütig nimmt Zoe eine Handvoll Schaum und legt ihn sich auf den Kopf. »Guck mal, ich bin eine Schaumprinzessin.«
Franzi schlägt glücklich aufs Wasser. Zoe macht sich einen Schaum-Bart. Franziska juchzt auf. Aus den Augenwinkeln registriert Zoe, wie ihre Mutter die beiden Töchter verliebt ansieht. Schnell hört sie auf. »Können wir uns ein bisschen beeilen? Ich muss noch Hausaufgaben machen.«
Erst viel später im Bett fällt ihr ein, dass sie ihren Eltern noch nichts von der Eins in der Mathearbeit erzählt hat. Hat sie einfach vergessen. Sie fragt sich, was wohl passierte, wenn sie einfach mal behaupten würde, sie hätte eine Vier geschrieben. Wahrscheinlich würden ihre Eltern ihr einfach nicht glauben. So sehr bauen sie auf ihre älteste Tochter.
Auf engem Raum
E s geht ein Aufatmen durch die Klasse, als es klopft. Egal, wer oder was jetzt stört – schlimmer als das aktuelle Programm kann es nicht sein. Die Trumm langweilt mal wieder mit monotonen Ausführungen zur Weimarer Republik. Zoe träumt sich aus dem Fenster. Sie hat das Gefühl, in Geschichte noch nie etwas anderes als die Weimarer Republik durchgenommen zu haben. Als hätten seinerzeit Adam und Eva diese Republik direkt noch im Paradies gegründet. Zäh kämpft sich die Trumm seit Wochen durch die Novemberrevolution, die Weimarer Verfassung, Inflation und die ganze graue Erinnerung. Zoe malt versunken kleine Blumen in ihr Heft. Im nächsten Schuljahr wird es dann um den Nationalsozialismus und Wiederaufbau gehen. Das macht dann nicht mehr die Trumm. Das ist auch besser so, sie wird von allen nur »Trümmerfrau« genannt. Ihre bevorzugte Farbe ist Grau in allen Schattierungen. Das gilt auch für Haare, Haut und Zähne. Außerdem trägt sie Gesundheitsschuhe, die aussehen als hätte sie Klumpfüße. Auch Zoe hebt erfreut den Kopf, als es an der Tür kurz klopft. In der nächsten Sekunde erstarrt sie. Der Direx schiebt den Typen in die Klasse. Den Jungen, den sie schon vorm Lehrerzimmer gesehen hat.
»Guten Morgen.« Der Direktor strahlt übertrieben. »Ich habe euch jemanden mitgebracht.«
Zoe grinst müde. Der spricht, als stünde er vor einer zweiten Klasse und hätte den Osterhasen im Schlepp.
»So ganz alleine ist der doch nie. Der hat
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