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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Häuslichkeit. Manche Paare werden schwanger, um ihre Beziehung zu retten, wir zogen um. Von Fürstenried nach Solln, von einer Wohnung in ein Einfamilienhaus. Helene sollte ausmisten, während ich in den Bergen noch einige Tage die Messungen meiner Studenten beaufsichtigte. Es war einelebhafte Gruppe von Kommilitonen, die sich, selten genug, gegenseitig anregten und ermutigten; aufgekratzt kehrte ich heim. Nichts Böses ahnend, begegnete ich auf der Treppe dem kleinwüchsigen Pensionär vom ersten Stock und seinem ausnehmend unfreundlichen Blick, schloß die Tür auf und schlug mit der Schulter gegen das Holz, die Tür widerstand, ich mußte mit dem ganzen Gewicht meines Körpers dagegendrücken, um mich in die Wohnung hineinzuschieben. Ein Dutzend Umzugskartons war gegen die Tür gefallen, einige von ihnen zu Boden gerutscht, sie hatten die Gummistiefel umgestoßen, die zwischen einer halbentrollten Isomatte und einem eingerissenen Sombrero lagen. Helene hatte alles ausgeräumt und nichts ausgemistet und war entschwunden. Ich trat vorsichtig ein, stand inmitten von Wollknäuelresten und gerahmten Drucken, die von den Wänden geholt worden waren, die Wände nun so nackt, wie sie es in meiner Kindheit waren (bevor die Oma uns ihre Stilleben vererbte), und der Raum so voll und unordentlich wie einst mein Zimmer in den Sommerferien, als ich das gesamte Spielmaterial aus den Packungen nahm, alle Figuren, Karten, Jetons und Würfel auf dem Boden verteilte und gemäß eigenen Regeln spielte, auf dem Teppichboden, auf dem Tisch, auf dem Bett, ein Spiel, das ich zu Ehren des Erfinders »Zenos Olympiade« getauft hatte, bevor ich begann, schrie ich in den Gang hinaus: »Bitte nicht in mein Zimmer kommen«, Helene hätte wenigstens einen Zettel an die Tür kleben können: »Bitte nicht in die Wohnung kommen«. In der Diele standen offene Kartons dicht nebeneinander, ihr Inhalt unsichtbar unter zusammengeknülltem Zeitungspapier, die alten Parkas hingen vom Garderobenständer wie die Äste einer Trauerweide, aufdem Beistelltisch türmten sich die Stapel, kreuz und quer übereinandergelegte Druckerzeugnisse, darunter Jahrgänge von Burda-Moden (auch wenn Helene nie etwas selbst nähte, die Schnittbögen wurden geflissentlich aufgehoben, wie Muster für abweichende Lebensentwürfe), die oberste Zeitschrift stammte aus einem der letzten Jahre der Siebziger, das Mannequin auf der Titelseite trug Helenes imposante Dauerwelle von damals, beim Durchblättern fiel mein Blick auf eine Seite, aus der ein postkartengroßes Stück herausgeschnitten worden war. Würde Helene all diese Zeitschriften wegwerfen? Würde sie sich von ihrer Sammlung von Schnipseln trennen, die sie in großen Mappen aufbewahrte, von ihrem Katalog vermeintlicher Notwendigkeiten, den sie in mißmutigen Momenten aufschlug, um ausgefallene Präsente, Traumreisen und Anti-Aging-Produkte in Augenschein zu nehmen, mit denen sie ihre Lebensziele nachjustierte, wenn sie im Alltag unscharf wurden, die Mappe schloß sie jedesmal mit einem tiefen Seufzer, mit einem mir allzu vertrauten Ach-könnten-wir-doch-nur-Seufzer, bis uns das Professorengehalt ereilte. Die erste Traumreise überstanden wir zerstochen und mit aufgewühltem Magen, das kommt davon, wenn man etwas Billiges bucht, erklärte Helene (um Streit zu vermeiden, verkniff ich mir die Frage, was an dem teuersten Urlaub unseres Lebens billig gewesen war), sie sammelte fortan nur noch Angebote, bei denen Preis und Exklusivität jegliches Risiko auf Enttäuschung ausschlossen, das waren keine Schnipsel mehr, das waren partiell mattlaminierte Kataloge, aufwendiger hergestellt als jene Alpenbildbände, die neben den Burda-Moden lagen, veraltet wie die Sehnsucht, mit der sie einmal aufgeladen waren. Helene hatte das Innere unseresLebens nach außen gestülpt, in jedem der Zimmer waren Truhen Schränke Kommoden Regale ausgeräumt und alle Gegenstände, die noch nicht in die Kartons gepackt waren, zu einer Installation der Überflüssigkeiten zusammengeworfen. Sie war dabei, so hatte es den Anschein, unseren Bestand zu kuratieren, dieser Tage bewohnt hierzulande jeder sein eigenes Museum. Manch einen Gegenstand hatte ich vergessen: das elektrische Tranchiermesser, die Brotschneidemaschine, den Joghurtmaker, ausreichend Schuhwichse für eine glänzend polierte Ewigkeit, ungezählte Sonnenbrillen, Gürtel, Taschen, es war mir nicht aufgefallen, wie viele Blazer Helene über die Jahre erworben hatte, weil jeder besondere

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