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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Anlaß einen neuen Blazer erforderte, sie waren auf dem Bett ausgelegt, so viele, daß sich ein kleiner Bühel erhob, geformt wie ein prähistorisches Grab. Auf dem Büffettisch im Eßzimmer war die Delfter Fayencesammlung von Helenes Großmutter ausgestellt (Tradition ist, was vererbt wird), einige Kacheln bereits in Handtüchern verpackt. Auf einem der Sessel lagen meine in diversen Konferenzhotels eingesteckten Notizblöcke und Kugelschreiber, auf einem der Stühle meine Wanderkarten (leicht gewellte Erinnerungen an die beständigste unserer gemeinsamen Leidenschaften), der Fußboden unter dem Tisch bedeckt mit Quittungen, die nach dem Ablauf der Garantiefrist nicht weggeworfen worden waren. Wie konnte es nur so weit kommen, ein Schlafzimmer voller Blazer, ein Bad voller Straffungscremes, eine Küche voller Tupperware, ein Wohnzimmer voller Steine, Muscheln, Vasen, Gläser von Weihnachtsmärkten und Weinfesten, Sammeltassen (»Gruß aus Oberammergau«) neben mexikanischen Schalen und sogar einem portugiesischen Hahn, den ich mirsamt der Legende vom Brathähnchen, das auf dem Teller eines Richters zu krähen begann, um die Unschuld eines Verurteilten zu verkünden, hatte aufschwatzen lassen; wie konnte es so weit kommen, daß unser Eigentum uns aus unserem Heim vertrieb? Und dann war da noch der Keller, verdrängt wie ein Trauma, im Keller würden sich, dessen konnte ich mich entsinnen, Christbaumständer, Kugeln, Lametta und Juläpfel finden lassen, im Keller standen Rollen selbstgeknüpfter Teppiche, im Keller lagen Schuhe aus drei Jahrzehnten, im Keller waren Musikkassetten und Videokassetten und Aktenordner und Programmhefte. Den Keller galt es zu meiden. Ich konnte mich nirgendwo hinsetzen, jeder Stuhl trug schwer an unserem Besitz, der große Sessel war überhäuft mit unterschiedlich mißlungenen Exemplaren von Seidenmalerei, Makramee und Origami. Ich nahm Platz auf einem stabil wirkenden Turm von Katalogen von der Alten Neuen Pinakothek der Moderne, saß darauf, ohne zu wissen, was ich tun sollte, meine Füße berührten den Fußboden nicht, zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich Angst, bei lebendigem Leib begraben zu werden. Als das Telefon klingelte (es konnte nur Helene sein, um zu erklären, wieso sie plötzlich weggefahren war und wann sie gedenkt zurückzukommen), starrte ich ein kleines Einmachglas an, auf dessen Etikett in ihrer verzwirbelten Handschrift vermerkt war: »Erdbeermarmelade mit Amaretto (1989)«.
     
     
    Der Kapitän ist kein Kontrollfreak, aber wenn er etwas in die Hand nimmt, dann muß alles so getan werden, wie er es sich vorstellt, was nicht einfach umzusetzenist, denn er ignoriert Details und redet so sparsam, als wären die Wörter an Bord rationiert. Er stammt aus einem Dorf in der Nähe von Friesoythe, das erkläre manches, sagen jene, die den Norden kennen, dort beginne man den einzigen Satz des Tages in der Früh und beende ihn am Abend, ich kann das nicht beurteilen, ich war nur einmal beruflich in Bremerhaven und einmal privat in Sankt Peter-Ording, der Norden ist für mich Ausland. Nachdem wir die Erfahrung eines vertikal geteilten Deutschlands unbeschadet überstanden haben, könnten wir von mir aus gerne Deutschland entlang eines Breitengrades in der Mitte teilen. Ich habe etwas, das mir im Magen liegt, sagt der Kapitän nach einem vernuschelten »Guten Morgen«. »Magen« spricht er so aus, als sei es ein onomatopoetischer Ausdruck für schlechte Laune.
    – Sie meinen Dan Quentin?
    – Mir ist nicht wohl dabei.
    – Das kann ich verstehen.
    – Die Reederei ist angetan.
    – Der Lockruf des Ruhmes.
    – Wir kennen ihn nicht.
    – Dafür seinen Manager … …
    – Der strapaziert Ihre Nerven?
    – Das kann man so sagen. Vielleicht wird er sich etwas entspannen, wenn sein Boß eintrifft. Wann soll Quentin denn zu uns stoßen?
    – King George Island, er wird eingeflogen.
    – Wer Großes erreichen will, hat wenig Zeit,
    sage ich übertrieben nasal, aber der Kapitän ist gegen jegliche Ironie immun. Stets blickt er über die Schulter seines Gegenübers in die Ferne, wo eine dringlichere Aufgabe auf ihn zu warten scheint.
    – Er soll jede Hilfe erhalten.
    – Für Gottes Lohn.
    – Kommen Sie damit klar?
    – Erwarten Sie Komplikationen?
    – Es sind viele Personen involviert.
    – Wir könnten den Kreis der Beteiligten begrenzen.
    – Er will ein möglichst großes SOS.
    – Ja, aber dazu benötigt er unsere

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