Eistochter
wirkt.
»Nimmst du meine Hand?«
Seltsam, dass Beck das sagt – so förmlich! Aber ich lege meine Hand in seine, da ich mich danach sehne, seine Wärme zu spüren. »Wohin wollen wir ge…«
Aber bevor ich den Satz beenden kann, taumle ich schon durch einen schwarzen Abgrund.
Der Boden unter meinen Füßen ist gefroren, und der eisige Wind brennt mir an den nackten Beinen.
Eis und Schnee – ich bin nicht mehr in Summer Hill.
Wo bin ich? Außerhalb der Kuppel? Der Schneefall ist dicht – ich kann weder die schützende Hülle um Summer Hill noch sonst irgendetwas sehen.
»Beck!«
Keine Antwort. Wo steckt er? Was ist geschehen?
Ich drehe mich um mich selbst und versuche herauszufinden, wo ich bin, aber ich sehe nur blendendes Weiß.
»Beck!«
Der Wind flaut ab, und es fallen nur noch einzelne Schneeflocken vom Himmel. Anders als beim letzten Mal, als ich mich hier draußen wiedergefunden habe, spiegelt das Wetter das genaue Gegenteil meiner Gefühle wider. Ich habe keinen Einfluss darauf.
»Schon gut, Lark. Er ist in Sicherheit.«
Henry? Ich wirble herum und halte Ausschau nach ihm, aber er ist nirgendwo. Das ergibt keinen Sinn. Was tut Henry hier?
Etwas streift meinen Arm, und ich zucke zusammen. »Henry? Was ist los?«
Der Schein des Vollmonds wird vom Schnee reflektiert und taucht alles in eisblaues Licht – bis auf den grauen Schatten, der zwischen den Bäumen hervortritt.
Meine Mutter.
Bei jedem Schritt, den sie auf mich zugeht, mache ich einen rückwärts. Ich starre meine Mutter an und bewege die Augen nicht, bis irgendetwas in mir reißt und ich mich umdrehe, um davonzulaufen.
»Hallo, Lark.«
Die Furcht verfliegt. Mein Körper ist mitten im Schritt erstarrt, aber ich kann mich nicht erinnern, warum. Verwirrt setze ich den Fuß sanft auf den Boden und wende mich meiner Mutter zu, um sie angemessen zu begrüßen.
Obwohl sie wunderschöne, hochhackige Schuhe mit offener Spitze trägt, stellen die Schneewehen kein Problem für sie dar. Sie gleitet so elegant auf mich zu, dass ich mich frage, ob ihre Füße überhaupt den Boden berühren. Mit einer fließenden Bewegung schlüpft meine Mutter aus ihrem langen cremefarbenen Mantel und legt ihn mir um die Schultern.
»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du sie dazu bringen sollst, sich passend zu kleiden, Henry.«
»Ich habe ihr gesagt, dass sie einen warmen Pullover mitbringen soll, aber das wollte sie ja nicht.« Henry erscheint neben meiner Mutter und zeigt auf die Sandalen an meinen Füßen. »Und Schuhe. Ich habe dir doch gesagt, dass du Schuhe anziehen sollst, nicht wahr?«
Henry soll mir das gesagt haben? Nein, Beck hat das getan.
»Sie ist verwirrt.« Meine Mutter mustert mich mit besorgter Miene.
»Ich musste sie betäuben.«
Sie seufzt. »Vollkommen unnötig. Sie würde dir nie etwas zuleide tun.«
Meine Mutter berührt meine Stirn. Der Nebel löst sich auf, und mein Verstand ist wieder klar. Henry hat sich für Beck ausgegeben. Er hat mich zu meiner Mutter gebracht. Er hat mich verraten.
Adrenalin pumpt heftig durch meine Adern. Ich muss hier weg, bevor sie mich fortbringt. Bevor sie mich gegen Beck einnimmt.
»Ah, ah, ah!« Meine Mutter schnalzt mit der Zunge. »Nichts da. Anders als die anderen bin ich immer noch viel, viel stärker als du, und das ganz allein.«
Mein Puls kommt zur Ruhe. Sie hat recht – und wohin sollte ich auch gehen? Ich habe keine Ahnung, wo ich bin.
Obwohl ich in ihren schweren Mantel gehüllt bin, klappern mir die Zähne. »Warum hast du mich holen lassen?«
»Um sicherzugehen, dass du unversehrt bist. Ich mache mir Sorgen um dich, Liebes.« Sie presst mir den Handrücken an die Wange. Ihre Stimme ist hoch und klar – und beruhigend. Oh, so beruhigend. »Du erfrierst ja! Bringen wir dich doch ins Haus.«
Sie klatscht in die Hände, und ein Bauernhaus mit Strohdach erscheint aus dem Nichts. Die Fenster leuchten vor Wärme, und ich will unbedingt hineingehen und aus der eiskalten Luft herauskommen.
»Es ist ja so ein Genuss, offen Magie zu wirken. Ich kann den Reiz eines solchen Ortes beinahe verstehen.« Sie lächelt breit, so dass sich Fältchen um ihre Augenwinkel bilden, und zeigt in die Schatten. Zwischen den Bäumen ist die leuchtende Kuppel von Summer Hill zu erkennen. Wir sind nur ein paar Meter von der Barriere entfernt.
»Sind noch andere bei dir? Außer Henry?«
»Henry ist nicht bei mir, aber ja, es sind noch andere hier. Ich kann nicht mehr ohne Gefolge auf Reisen gehen. Zu
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