Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Rae Miller
Vom Netzwerk:
Eltern. Schon wieder.
    »Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich darum. Henry, kannst du sie nach oben bringen?«
    »Natürlich.«
    Bethina geht zu den Streitenden und lässt Henry und mich allein. Ich lege den Kopf an seine Schulter. Er trägt mich die Treppe hinauf, vorbei an den Bildern der Channings – der Guten –, mit denen die Wände gesäumt sind.
    Mit dem Fuß stößt er meine Zimmertür auf. Er durchquert den Raum und legt mich aufs Bett.
    »Willst du, dass ich bei dir bleibe? Dir Gesellschaft leiste, bis Bethina zurückkommt?«
    Obwohl ich Henrys Gesellschaft genieße, will ich allein sein. »Nein, schon gut. Ich komme auch so zurecht.«
    »In Ordnung.« Seine Finger berühren meine Stirn. »Gute Nacht, Lark. Wir sehen uns morgen.«
    Als er fort ist, vergrabe ich das Gesicht im Kopfkissen. Laute, erstickende Schluchzer schütteln meinen Körper. Vor meinem Fenster lässt ein Vogel ein klagendes Trillern ertönen. Es passt perfekt zu meiner Stimmung.
    Unten wird der Streit lauter, und eine Tür schlägt zu. Schritte auf der Treppe ermahnen mich, mich zusammenzureißen, aber ich habe keine Möglichkeit, meine roten Augen und mein tränenverschmiertes Gesicht zu verbergen.
    Bethina macht sich nicht erst die Mühe zu klopfen, bevor sie ins Zimmer schlüpft.
    »Oh«, sagt sie. »Ich dachte, du würdest schlafen.«
    Ich schüttle nur den Kopf, da ich befürchte, dass mir die Tränen kommen, wenn ich etwas sage. Der Vogel stößt noch ein erbarmenswertes Zwitschern aus und ist dann still.
    Bethina geht zum Stuhl neben dem Fenster und setzt sich hin. Ich lehne mich in die Kissen zurück und ziehe mir die Decke bis ans Kinn hoch.
    »Was ist da unten passiert?«, frage ich.
    »Du musst dich von Beck fernhalten.« Bevor ich etwas einwenden kann, hebt sie die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. »Die Regel stammt nicht von mir, sondern von Mr. und Mrs. Channing. Da sie deine Gastgeber sind, musst du das respektieren.« Sie schürzt die Lippen. »Wenn doch nur jemand Beck den Kopf zurechtrücken könnte.«
    »Viel Glück damit«, sage ich.
    Wir lachen beide. Das Geräusch wirkt angesichts meiner derzeitigen Stimmung seltsam deplatziert.
    »Beck ist stur, nicht wahr? Ich dachte immer, er wäre von euch beiden leichter zu handhaben, aber mittlerweile bin ich nahe daran, diese Einschätzung zu revidieren.« Sie blickt aus dem Fenster. »Wenn du dich zusammenreißen kannst und versuchst, wirklich von deinen Lehrern zu lernen, werden die Channings dich bis zu deinem Geburtstag bleiben lassen.«
    »Und danach?« Ich weiß es schon, muss aber doch danach fragen.
    »Danach musst du abreisen, Lark. Wir können das Risiko nicht eingehen, dich in Becks Nähe zu lassen.« Ich verziehe das Gesicht, und sie wechselt die Stoßrichtung: »Ich weiß, wie du dazu stehst, aber was, wenn ich mitkomme und dir helfe, deinen Weg zu finden?«
    Es wäre nicht Beck, aber wenigstens hätte ich jemanden, dem ich wichtig bin. »Wirklich? Ich müsste nicht allein sein?«
    »Ich würde dich nie im Stich lassen.« Die Sanftheit ihrer Stimme erinnert mich an die alte Bethina – die, die meine Beulen und blauen Flecken verarztet hat, die am Freitagnachmittag immer Kekse für mich bereitstehen hatte, die sich um mich gekümmert hat.
    »Wir sind nicht mehr in der Schule, B. Niemand zwingt dich dazu, dich um mich zu kümmern, und du bist nicht meine Mutter.« Ich schleudere ein Kissen durchs Zimmer.
    »Vielleicht nicht, aber ich glaube dennoch, dass du mich brauchst.«
    In dem nun folgenden unbehaglichen Schweigen kommt mir ein Gedanke. »Wer kümmert sich jetzt um den Rest des Hauses? Du bist schon lange Zeit weg. Bekommst du deswegen Ärger?« Das Letzte, was ich will, ist, dass Bethina meinetwegen ihren Arbeitsplatz verliert.
    »Oh, ich bin mehr oder minder gefeuert worden. Drei Vergehen, und man ist draußen, wie es so schön heißt.«
    »Drei Vergehen?«, frage ich.
    »Kyra, Beck, Maz, Ryker und du.« Ihre Lippen verziehen sich zu einem angespannten Lächeln. »Also fünf Vergehen.«
    »Oh«, sage ich leise. Bethina hat ihre Arbeit geliebt. »Aber was ist mit den anderen Kindern? Wer führt sie nun zu ihren Bindungen?« Das war ein wichtiger Teil der letzten paar Schulmonate und zugleich eine extrem emotionale Zeit sowohl für die Schüler als auch für die Hausmütter, die sie aufgezogen haben. Bethina nicht bei sich zu haben muss schwer für alle sein.
    »Vermutlich eine Auszubildende.« An der Art, wie sich Fältchen um ihre Augen bilden,

Weitere Kostenlose Bücher