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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Rae Miller
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erkenne ich, dass sie zu verbergen versucht, wie verletzt sie ist.
    »Na, wenn du und ich beide nirgendwohin können, können wir ja genauso gut gemeinsam dorthin gehen.« Mein Scherz zündet nicht.
    »Wir müssen am Tag vor deinem Geburtstag aufbrechen, wenn du denn so lange durchhalten kannst.« Bethina verschränkt gebieterisch die Arme und setzt ihre Wehe-wenn-du-das-nicht-tust-Miene auf.
    Draußen zwitschert der Vogel eine neue Reihe klagender Töne. Bethina tritt näher ans Fenster, um das Tier zu beobachten. »Seltsam, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass dieser kleine Vogel versucht, mit uns zu sprechen.« Sie schüttelt den Kopf. »Nun ja. Gute Nacht, Lark. Heute Abend hast du keinen Unterricht. Versuch einfach, dich ein bisschen auszuruhen, und vergiss nicht: Morgen ist auch noch ein Tag. Ein Neuanfang. Mach das Beste daraus, Lark Greene.« Sie tätschelt mir den Kopf und lässt mich allein.
    Ich drehe mich um und ziehe die Bettdecke eng an mich. Ein endloser Tränenstrom läuft mir über die Wangen, während ich das Gesicht tief im Kopfkissen begrabe und schreie.

29
    »Lark, wach auf.«
    Eine Hand streicht mir sanft die Haare aus dem schlafenden Gesicht.
    Beck.
    Meine Augen versuchen sich zu öffnen, aber sie sind von den Tränen zugeschwollen. Ich reibe sie kräftig und versuche, sie so zu lockern. »Stimmt etwas nicht?«
    Er setzt sich auf die Bettkante. »Nein. Ich wollte dich nur sehen.«
    »Du solltest nicht hier sein«, sage ich und rücke beiseite, um ihm Platz zu machen, damit er sich neben mich legen kann, aber stattdessen steht er auf.
    »Hast du Lust, spazieren zu gehen?«
    Das ist das Letzte, worauf ich Lust habe. Die neue Ummantelung hat mir in Verbindung mit meiner Schluchz-Orgie heftige Kopfschmerzen beschert. Ich drehe mich auf den Rücken und ziehe mir die Decke über den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich habe Kopfschmerzen.«
    »Hier.« Er schlägt die Decke zurück und berührt meine Stirn mit den Fingerspitzen. Der Schmerz lässt nach. »Ist es so besser?«
    »Wo hast du den Trick gelernt?«
    Er grinst. »Während du draußen mit Eloise herumläufst und mit Regenbogen spielst, lerne ich nützliche Dinge.«
    »Eloise ist eine tolle Lehrerin – sie hat mir beigebracht, imaginäre Leute anzugreifen.«
    Beck verneigt sich. »Miss Greene, ich gebe mich geschlagen.«
    »Du Verrückter.« Ich trete spielerisch nach ihm, und er fängt meine Füße ein. Zum ersten Mal seit Wochen fühlt sich alles an wie in alten Zeiten. »Gut, ich gehe mit dir spazieren.«
    »Treffen wir uns in zehn Minuten unter der Trauerweide?«
    Ich nicke.
    »Bring einen dicken Pullover mit.«
    Als er weg ist, wälze ich mich aus dem Bett und auf die Knie. Ich wünschte, ich wüsste, wie spät es ist – es muss nach Mitternacht sein. Wir werden morgen früh erschöpft sein, und der Unterricht fällt mir auch so schon schwer genug.
    Meine Kleider von vorhin liegen gefaltet auf dem Stuhl. Bethina muss sie eingesammelt haben. Ich ziehe sie an, suche mir eine Strickjacke – für einen dicken Pullover ist es nun wirklich zu warm – und nehme die Sandalen in die Hand. Es ist schließlich nicht sinnvoll, auf der ohnehin schon quietschenden Treppe noch zusätzlichen Lärm zu verursachen.
    Ich schleiche mich auf Zehenspitzen die Stufen hinab, verlagere mein Gewicht hin und her und tue mein Bestes, dabei nicht umzufallen.
    Becks heimlicher Besuch in meinem Zimmer und das nächtliche Davonschleichen sorgen unweigerlich dafür, dass ich mir vorkomme, als ob ich etwas Kriminelles tun würde. Trotzdem regt sich ein kleiner Hauch freudiger Erregung in meinem Bauch. Wir haben kaum Zeit miteinander verbracht, und obwohl ich weiß, was auf dem Spiel steht, kann ich nichts an der Tatsache ändern, dass ich mich nach Beck sehne.
    Die Küchentür liegt am nächsten bei der Trauerweide, und so schleiche ich mich durchs Esszimmer und die Küche. Sobald ich zur Tür hinaus bin, streife ich die Sandalen über und laufe zum Baum.
    Beck ist schon da, lehnt am Stamm und wirkt nervös.
    »Du ziehst die hier vielleicht lieber an.« Er nimmt mir die Strickjacke ab, hält sie mir hin und wartet darauf, dass ich die Arme hineinstecke.
    »Es ist nicht kalt«, wende ich ein.
    »Das wird es aber in einer Minute sein.«
    »Wirklich? Für mich fühlt sich das wie eine typische feuchtwarme Nacht an.«
    Der Mondschein verleiht Becks Gesicht eine gespenstische Farbe, da er seiner Haut den gewohnten Goldton entzieht, so dass sie aschfahl

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