Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eistod

Eistod

Titel: Eistod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
Leute dort. Kann ich sie Ihnen mitgeben?«
    »Ich leg sie ihm ins Fach«, sagte Schwinn und nahm die Mappe an sich. Er sah auf die Uhr. »Vermutlich schläft er schon.«
    »Vielleicht feiert er auch noch, es ist ja erst halb eins … Frohe Weihnachten übrigens.«
    »Frohe Weihnachten auch!«
    Es war so, wie der Fahrer vermutet hatte. Gusti Kappeler von der Wachtmannschaft war der Einzige, der keinen Ausgang hatte und Dienst tat. Er führte die Eingangskontrolle.
    Auf einem portablen DVD-Gerät, das der Soldat vor sich auf den Tisch gestellt hatte, lief ein Horrorstreifen. Ein Rudel blutrünstiger Hunde zerfetzte gerade eine junge Frau.
    Gusti Kappeler schaltete auf lautlos. »Die meisten sind im Rössli «, sagte er. »Dort läuft scheinbar am meisten.«
    »Schon recht«, sagte Schwinn. Er trug sich im Journal ein, wünschte Kappeler eine kurzweilige Nacht und ging in den Aufenthaltsraum. Aus einem der Getränkeautomaten zog er sich ein Mineralwasser, setzte sich damit an einen der Tische und trank.
    Die Sache von heute Abend ging ihm nicht aus dem Kopf. War es wirklich Zufall, dass man ihn nach Zimmerwald beordert hatte?
    Vor Schwinn lag die Mappe von Meiendörfer. Sie sahen alle gleich aus, die Dinger. Dasselbe plastifizierte Feldgrau, darin dieselben Reglemente, Dienstanordnungen und Einsatzpläne. Er wusste nicht, was ihn dazu bewog, sie zu öffnen. Hätte der Berner Bund , der Blick oder sonst ein Blatt auf dem Tisch gelegen, er hätte es vermutlich nicht getan und stattdessen in der Zeitung geblättert.
    Was er nebst den bekannten Unterlagen herauszog, war ein Forschungsbericht über Proetecin . Schwinn hob die Augenbrauen. Was hatte der hier zu suchen? Er blätterte sich durch die Seiten, einzelne Abschnitte las er. Proetecin war der Arbeitstitel einer Substanz, die sein Vorgesetzter an der ETH, Professor Theophilius Winter, entwickelt hatte. Schwinn kannte die Versuchsreihen, die sie im Forschungslabor der ETH durchgeführt hatten. Schließlich war er selbst Mitglied der Forschungsgruppe und in Einzelbereichen sogar federführend gewesen. Aber die Studie hier war eine andere. Und zu seinem Erstaunen hatte er diesen Bericht noch nie im Leben gesehen.
    Konrad Schwinn sah auf die Uhr. Er nahm die Blätter, die mit einer großen Büroklammer zusammengehalten wurden, und ging in eines der drei Großraumbüros. Dort jagte er sie durch den Kopierer. Dann steckte er das Original wieder zurück und deponierte die Aktentasche im Postfach von Oberleutnant Meiendörfer.
    Gerade noch rechtzeitig, denn vom Eingangsbereich drangen Stimmen zu ihm. Er würde den Bericht später durchlesen, dachte er. In aller Ruhe. Denn irgendetwas stimmte hier nicht.

6
    Es war der 6 . Januar, Dreikönigstag – und in Zürich lag Schnee wie in Arosa. Zwischen Schneehaufen bahnten sich die Trams den Weg durch die Bahnhofstrasse und in den Geschäften wühlten die Leute in Bergen von Unterhemden, Hosen und Jacken, die allesamt zum halben Preis zu haben waren. Dabei hatte der Winter erst so richtig begonnen.
    Bis in den Dezember hinein war das Wetter herrlich gewesen, mit trockenen Straßen und Resten verkrümelten Herbstlaubs. Der Föhn hatte die Alpen so nah an das Seeufer gezaubert, dass man sie hätte greifen können, und hier und dort klagte man über Kopfschmerzen und Rheuma. Dann kam der Schnee: plötzlich, rücksichtslos und kalt; kurz vor Weihnachten hatte es angefangen und bis Neujahr durchgeschneit, als wüsste der Winter, dass die städtischen Betriebe in dieser Zeit unterbesetzt und auf diese Art von Überfällen nicht vorbereitet waren.
    Die wichtigen Leute, über die die Medien normalerweise berichteten, waren weg: im Engadin oder auf den Malediven. Also berichtete man über das Wetter, übers Märlitram, das am Limmatquai stecken geblieben war, und über Kinder, die Schneemänner bauten oder Schlittschuh liefen. Im Lokalfernsehen zeigte man die Räumungsbetriebe der Stadtverwaltung, die des weißen Feindes nicht Herr wurden, und in einer Spezialsendung wurde der Umgang mit Schneeschuhen und -stöcken demonstriert. Zürich war und blieb weiß.
    »Diese Weihnachtsbeleuchtung macht mich krank«, murmelte Kommissar Eschenbach. Er schlug den Mantelkragen hoch und blinzelte in eine Reihe von Neonröhren, die bolzengerade mitten über der Bahnhofstrasse hingen. Es war Viertel nach fünf und er war auf dem Weg ins Büro. Dann fiel ihm auf, dass er nichts mehr zu rauchen hatte. Es war ein gewaltiger Umweg bis zu Wagners Tabak-Lädeli

Weitere Kostenlose Bücher