Eistod
Kommissar. »Ungeschliffene Diamanten waren das, da musste ich nicht viel machen …«
»Hören Sie auf, Eschenbach. Sie können mit diesen Jungen, haben einen Draht zu ihnen. Sie würden sogar aus einem Balletttänzer einen guten Polizisten machen.«
Eschenbach zuckte die Schultern und lächelte: »Pestalozzi ist aber Opernsänger.«
»Er hat eine musische Ader, mag sein«, warf Kobler ein. »Aber das Opernstudium ist nichts für ihn.«
»Das Medizinstudium, das er abgebrochen hat … und das halbe Jahr als Florist? Das war wohl auch alles nichts für ihn?« Jetzt war es Kobler, die lächelte. »Wir haben doch alle unsere Jugendsünden, oder?«
»Ich kann das nicht …« Eschenbach fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich bin zu alt für solche Späße … und dann kommt er aus bester Zürcher Gesellschaft! Ich meine, warum soll so einer zur Polizei?«
»Geben Sie ihm eine Chance, Eschenbach.«
Der Kommissar seufzte.
»Und das mit dem Budget, das regle ich schon.« Kobler versuchte ein aufmunterndes Lächeln.
»Eine Ausbildungspauschale für mich wäre angebrachter«, antwortete der Kommissar, doch dann sagte er: »Na gut. Aber ich sehe schwarz!«
Am darauffolgenden Tag, frühmorgens, ging Eschenbach die Zeitungen durch. Er tat es wie immer im Hiltl. Das Lokal war bekannt für seine vegetarische Küche, für Gemüse und Obstsäfte, für Tofu-Schnitzel und gesunde Salate. Eschenbach mochte den Espresso, las die Zeitungen, die in erlesener Auswahl zur Verfügung standen, und rauchte.
Es überraschte ihn nicht, dass der Tote vom Letten es nicht auf die Titelseiten geschafft hatte. Die Kampfhunde und ein Porträt des neuen Bundespräsidenten waren eine zu starke Konkurrenz. Wenigstens fand er in allen Zeitungen das Foto des Toten – zusammen mit einem Zeugenaufruf.
Gegen halb neun verließ er das Hiltl. Unter seinen Füßen knirschte der Schnee. Er überquerte die Urania-Strasse und schlenderte entlang der Schaufenster Richtung Löwenplatz. Hier und dort blieb er kurz stehen, sah sich die Auslagen an und dachte an Corina. Sie hatten schon seit Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Jeder hatte dem anderen eine Weihnachtskarte geschrieben, mehr nicht. Vielleicht war es besser so, dachte er. Ob sie manchmal auch an ihn dachte? Insgeheim hoffte er, dass sie einmal anrufen würde. Aber sie tat es nicht. Und weil sie sich nicht meldete, tat er es auch nicht.
»Massenweise Schnäppchenpreise« stand in großen Lettern über einer Auswahl von Handschuhen, Kappen, Schals und Pullovern. Ein paar Schritte weiter hieß es angelsächsisch knapp: »SALE«. Eschenbach fragte sich, ob die Engländer wussten, was das Wort auf Französisch bedeutete. Er bemühte sich, »Ausverkauf« in die vier Schweizer Landessprachen zu übersetzen. Beim Rätoromanischen scheiterte er; das italienische »SOLDI« fand er in der übernächsten Boutique. Trotz aller verlockenden Angebote, Eschenbach kaufte nichts. Er hatte alles und das, was ihm fehlte, war nicht zu haben.
Als er gegen neun Uhr ins Büro kam, saß ein schlaksiger, junger Mann mit halblangen, blonden Haaren neben Rosa Mazzoleni am Schreibtisch. Sie unterhielten sich auf Italienisch.
Ein verspäteter Engel Gabriel, dachte Eschenbach und sagte polternd: »Guten Morgen!«
Der junge Mann zuckte zusammen und Rosa lachte. »Buon giorno, Chef«, sagte sie. »Das ist übrigens Herr Pestalozzi, er spricht hervorragend Italienisch!«
»Pestalozzi«, fuhr es aus Eschenbach heraus, »der Opernsänger.«
Der blonde Junge stand auf, lächelte verlegen und streckte seine Hand aus: »Tobias Pestalozzi.«
»Eschenbach«, sagte der Kommissar und unterstrich seine Begrüßung mit einem kräftigen Händedruck. »Ich hatte Sie nicht so früh erwartet.«
»Meine Tante, Frau Sacher … sie hat gesagt, ich soll mich direkt bei Ihnen melden.«
»Schon recht. Frau Mazzoleni wird Ihnen einen Arbeitsplatz herrichten, dann sehen wir weiter.«
»Den Arbeitsplatz haben wir schon, Chef«, sagte Rosa.
»Dann ist ja alles wunderbar«, knurrte der Kommissar und ging ohne ein weiteres Wort in sein Büro. Nachdem er den Mantel in hohem Bogen auf den Besprechungstisch geworfen, sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt und innerlich bis acht gezählt hatte, drückte er die Taste der Gegensprechanlage und rief hinein: »Frau Mazzoleni, kommen Sie bitte.«
Rosa ließ sich Zeit. So viel Zeit, dass Eschenbach von acht bis 110 hätte weiterzählen können. »Frau Mazzoleni«, donnerte der
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