Eistod
abgeschlossen. Zudem warte ich noch auf den Bericht von der Toxikologie … zwei Tage vielleicht, dann kann ich dir Genaueres sagen.«
»Immerhin, das ist ja schon mal etwas …« Eschenbach blies den Rauch in Richtung Fenster und bedankte sich. Dann legte er auf.
Den Rest des Nachmittags verbrachte der Kommissar mit Polizeiberichten und Statistiken. Kurz vor fünf rief er im Institut von Theo Winter an. Er berichtete Juliet Ehrat, dass es nichts Neues gäbe, plauderte mit ihr über den Schnee in der Stadt, übers Skifahren und die Maulkorbpflicht bei Kampfhunden. Die Frage nach der Weihnachtsbeleuchtung stellte er nicht. Eigentlich hätte er sie gerne zum Essen eingeladen oder zu einem Kinobesuch – dabei kam ihm Claudio Jagmetti in den Sinn: die Affäre, die der junge Polizist mit einer Tatverdächtigen gehabt hatte. Also ließ er es bleiben, sagte noch etwas Belangloses und wollte das Gespräch gerade beenden, als sie fragte:
»Wir könnten doch bei einem Essen …«
Der Kommissar lächelte die zwei Strichmännchen an, die er während des Telefonats gemalt hatte: »Sehr gerne.«
Sie verabredeten sich für den Abend des folgenden Tags. Es war die erste Verabredung mit einer Frau – seine Tochter würde es als Date bezeichnen – seit über zwölf Jahren; seit damals, als er sich mit Corina in der Central Bar auf eine Frozen Margarita getroffen hatte.
Am Abend lag Eschenbach im Bett und konnte lange nicht einschlafen. Seine Gedanken kreisten um Corina, um Frau Ehrat und ums Ertrinken. Plötzlich nahm er den Rauch wahr, der vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer gedrungen war, und ihm fiel ein, dass er vergessen hatte zu lüften. Er stand auf und öffnete sämtliche Fenster. Es blies ein kräftiger Wind. Der Schnee, der haufenweise auf den Fensterbänken gelegen hatte, wurde vom Wind in die Wohnung gefegt; es klang ein wenig wie Sturm. Der Kommissar, in Pyjama und barfuß, sah in die Nacht hinaus und suchte vergebens die Sterne. Er kratzte verkrustetes Eis von seinem Außenthermometer auf dem Fensterbrett: »Minus zwölf Grad«, murmelte er. Dann fing er an zu frieren und begann ein Fenster nach dem anderen wieder zu schließen.
Am nächsten Morgen fehlte vom jungen Pestalozzi jede Spur. Auch Rosa hatte ihn mit keinem Wort erwähnt. Und Italienisch wurde auch nicht mehr gesprochen. Vermutlich verschlafen, dachte Eschenbach. Oder am Bürkliplatz in eine Gletscherspalte gefallen. Er hatte den Opernsänger mit Polizeiambitionen schon fast vergessen, als ihm Rosa gegen Mittag einen zwölfseitigen Bericht zur »Limmat-Leiche« vorlegte.
Eschenbach, der eigentlich Salvisbergs Ausführungen erwartet hatte, stutzte. »Von wem ist das?«, fragte er.
»Schauen Sie es sich an, Chef«, sagte Rosa. »Es ist eine Auswertung der Angaben zum Toten. Sie erinnern sich? Der Zeugenaufruf in den Zeitungen …«
»Ja, natürlich.« Eschenbach nickte. Man konnte nie im Voraus erahnen, welche Reaktionen ein solcher Aufruf mit sich brachte. Es ist wie mit dem Umsatz in einem Warenhaus. Sonnig oder trüb, warm oder kalt, vor oder nach Feiertagen: alles spielte irgendwie eine Rolle – und doch gab es auch immer wieder Überraschungen.
»Über hundert Meldungen hatten wir«, sagte Rosa und klopfte auf den Bericht.
»Eine ganze Menge.« Eschenbach rümpfte die Nase. So viele hatte er nicht erwartet. Nicht im Januar. »Vielleicht lag es am Bild.« Es klang wenig überzeugend.
»Tele Zürich hat es gebracht«, warf Rosa ein.
»Aha …« Eschenbach machte eine kurze Pause. Dann sagte er: »Ein richtiger Hinweis ist mir lieber als hundert falsche.«
»Eben.« Rosa pochte abermals auf den Bericht. »Hier ist alles analysiert und zusammengefasst. Herr Pestalozzi hat …«
»Pestalozzi?!«, schnaubte Eschenbach erstaunt. Einen kurzen Moment hielt er inne, dann lächelte er und schob den Bericht mit beiden Händen über den Tisch in Rosas Richtung. »Gleich wieder mitnehmen, bitte.«
»Lesen Sie ihn – Dio cristo!«, fauchte sie. »Es ist der intelligenteste Bericht, den ich seit Langem gelesen habe.« Und während sie mit energischem Schritt davonmarschierte, sagte sie leise zu sich selbst: »Ihre eigenen übrigens eingeschlossen.«
Als der Kommissar die Ausführungen von Pestalozzi gelesen hatte, drückte er den Knopf seiner Gegensprechanlage. Rosa hatte den Techniker kommen lassen und jetzt funktionierte sie wieder. »Haben Sie das geschrieben, Frau Mazzoleni? Ich meine, geholfen? Wenigstens geholfen …«
Es kam keine
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