Eistod
dieser Schwinn irgendwo zwischen Moskau und Neapel seinen Pass zeigt oder mit seiner Kreditkarte eine Rechnung begleicht, dann haben wir ihn.«
»Wir können nicht einfach nur warten.«
»Was denn sonst? Die Leute von der Vermisstenstelle haben die Eltern besucht, man spricht mit seinen Freunden … und das alles so diskret, wie’s eben geht. Wollen Sie denn, dass ich mich auch noch persönlich um die Sache kümmere?«
»Genau, das sollten Sie!«, kam es fadengerade zurück. »Professor Winter fühlt sich nicht ernst genommen. Er will, dass Sie sich persönlich um den Fall kümmern.«
»Professor Winter?« Eschenbach holte tief Luft. Was bewog Winter dazu, auf diese Weise Druck auf ihn auszuüben? War es die Sache mit Judith, damals, eine späte Rache? Er betrachtete Koblers Pelzmantel und seufzte. »Geben Sie den Fall doch Roger Bühler.«
»Nein.«
Roger Bühler leitete den Dienst für Vorermittlungen, war achtundfünfzig und eine Pfeife. Eschenbach zuckte mit den Schultern: »Dann halt Adrian Matter.«
»Guter Mann – aber auch nein!«
Eschenbach schmunzelte. Etwas musste man Kobler zugutehalten. Sie kannte die Leute. Matter war als Leiter des Ermittlungsdienstes brillant. »Dann fällt mir nur noch Sherlock Holmes ein«, sagte er.
»Sie sind ein sturer Hund, Eschenbach.«
»Das hat mir kürzlich schon jemand gesagt.«
Die Polizeichefin verzog den Mund zu einem Lächeln. Warum reden Sie nicht mal mit Winter? Gemütlich, bei einem Essen. Ein wenig Seelenmassage tut uns allen gut. Gehen Sie von mir aus mit ihm in die Kronenhalle. Schließlich kennen Sie sich ja von früher.«
»Na gut.«
»Professor Winter ist eine Ikone«, fuhr Kobler unbeirrt fort. »Für Zürich geradezu ein Segen …«
»Ich weiß.«
»Auch im Interesse der Öffentlichkeit. Bitte etwas mehr Engagement … im Dienste der Sache, meine ich. Das müsste sich doch machen lassen.«
»Ja, sicher.« Eschenbach sah auf die Uhr. »Ich werde ihn anrufen.«
»Tun Sie das.« Kobler nickte zufrieden und stand auf. Während der Kommissar ihr in den Mantel half, sagte sie in versöhnlicherem Ton: »Theophilius Winter ist vielleicht etwas kompliziert … ein Professor halt. Aber im Herzen ist er ein guter Mensch.«
»Na, dann ist ja alles bestens.« Eschenbach hatte längst aufgehört, die Menschen in Gut und Böse einzuteilen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dabei falschlag, war einfach zu groß.
Als Kobler Anstalten machte, zwischen Tür und Angel nochmals aufs Thema zu kommen, sagte er: »Ich hab’s verstanden. Wir werden uns in der Kronenhalle quer durch die Speisekarte schlemmen, anschließend die Oper besuchen und …« Eschenbach hob die Arme, als greife er nach den Sternen. »Und sollte das alles noch nicht reichen, dann machen wir eine Schlittenfahrt hinauf ins Uto Kulm … vielleicht auch an den Nordpol.«
»Dass Sie nie ernst sein können.« Der herausfordernde Blick von Kobler verschwand in einem Augenaufschlag. Dann ging sie.
»Mit der Kutsche werden wir vorfahren und Steuergelder verschleudern wie französische Könige …«, redete sich Eschenbach in Rage, während er zurück zum Schreibtisch ging. Im Geiste dirigierte er einen Achtspänner. »Und ich werde singen: Theo, wir fahr’n nach Lodz!«
Aus dem Sekretariat kam das Gekicher von Rosa.
Einen Moment starrte der Kommissar auf den Telefonapparat. All das ging ihm gewaltig auf die Nerven, dieses Theater um Theos Assistenten, der Götzenstatus des Professors und das Geschwätz ums öffentliche Interesse. Es war so ganz und gar nicht seine Welt; das vermochten auch die einundzwanzig Jahre Polizeiarbeit, die er auf dem Buckel hatte, nicht zu ändern. Der Grund aber, weshalb er sich sträubte, den Hörer in die Hand zu nehmen, war ganz ein anderer. Er lag dreißig Jahre zurück und hatte ihn nun eingeholt. Winter und er mussten miteinander reden.
Eschenbach knipste ein paarmal mit dem Tacker und sah den gekrümmten Heftklammern zu, wie sie nutzlos auf den Schreibtisch fielen.
»Haben Sie noch was für heute?«, fragte Rosa. Sie kam mit Espresso und einem Stück Linzertorte.
»Weiß noch nicht«, antwortete der Kommissar lustlos.
»Ich würde sonst gerne den Nachmittag freimachen.« Sie zuckte mit den Schultern und wartete.
»Von mir aus.« Eschenbach stocherte mit der Gabel im Kuchen. »Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Vielleicht«, sagte Rosa. »Aber heute ist mein Tag!« Und während sie Richtung Türe ging, fügte sie noch hinzu – gerade so laut, dass
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