Eistod
ich Reste von Tetrodotoxin gefunden.«
»Wenn du’s sagst.«
»Fugu-Gift!« Salvisberg hustete. »Der Fugu ist ein Fisch … hässlicher Fisch übrigens.« Sein Husten ging in ein heiseres Lachen über. »Stell dir vor, da stirbt einer in der Limmat an Fischvergiftung …«
Eschenbach verstand gar nichts mehr. »Erklär’s mir. Was weiß ich schon über Fische?«
»Klar doch …« Der Pathologe, der selbst ein begeisterter Angler war, nickte gut gelaunt. »Tetrodotoxin ist eines der stärksten nicht proteinartigen Gifte, die es gibt.«
»Tödlich also.«
»Absolut. Hundert Mikrogramm reichen. Ein grausames Gift. Es wirkt auf die Körpernerven, nicht auf das Gehirn. Das Opfer wird vollständig gelähmt – kann sich weder bewegen noch sprechen. In der Regel stirbt es an einem durch Lähmung bedingten Atem- oder Herzstillstand.«
»Und dieser Fugu hat das Gift in sich?«, wollte Eschenbach wissen.
»Ja und nein. Das Nervengift wird nicht vom Fisch selbst synthetisiert, sondern von in ihm lebenden Pseudomonas-Bakterien. Es gibt gezüchteten Fugu, der über kein Gift verfügt, sofern er nicht mit den Mikroorganismen gefüttert wird, die es produzieren. In Freiheit frisst der Fisch die Bakterien gezielt, um mit ihrem Gift Fressfeinde abzuschrecken.«
»Und er selbst ist gegen das Gift immun?«
»Ja. Durch den speziellen Aufbau seiner Nervenzellen ist er dagegen immun.« Salvisberg lächelte. »Der Fugu hat keine natürlichen Feinde.«
»Schön.«
»Außer den Japanern.« Salvisberg grinste breit. »Die machen sich einen Sport daraus, den Fisch giftfrei zuzubereiten. Was nicht immer gelingt …«
»Und du meinst, der Tote hat diesen Fisch gegessen?«
»Nein, das ist es ja gerade. Wir haben im Magen nichts Derartiges gefunden: keinen Fugu, kein Felchen – nichts, das auf eine Fischmahlzeit hindeuten würde.«
Eschenbach dachte einen Moment nach. »Dann könnte er auch …«
»Genau.« Salvisberg hob das Kinn. »Es sieht ganz so aus, als wäre er vergiftet worden.«
»Mit Fugu-Gift.«
»So ist es.«
17
Eschenbach legte den Postberg auf die Ablage im Flur. Er hatte drei Tage lang den Briefkasten nicht geleert. Corina war dafür zuständig gewesen und bis heute wollte er sich nicht daran gewöhnen. Er sortierte den Haufen. Gratiszeitungen und große, lose Blätter in grellen Farben: eine Einladung zur Eröffnung einer Boutique für Damenkleider ab Größe 42 in der Sihlstrasse, Rampenverkauf für Büromöbel in Zürich-Oerlikon und ein Gutschein für eine Fußreflexzonenmassage. Alles, was das Leben einem bot, wenn man einen Briefkasten hatte. Eschenbach warf es auf den Stapel Altpapier neben dem Schuhschrank.
Was er am Ende noch in den Händen hielt, waren Rechnungen. Briefe waren nicht dabei. Auch keine verspäteten Weihnachtskarten.
Auf dem Anrufbeantworter war zweimal Juliet wegen seines Portemonnaies. Er hatte es bei ihr liegen gelassen. »Ich hätte es dir in den Briefkasten gesteckt, aber der war schon voll …« und ein »Ich vermisse dich« kam auch noch. Dann folgte Corina. Eschenbach stockte, und weil er glaubte, die Nachricht nicht richtig verstanden zu haben, spulte er das Band zurück. »Kathrin ist im Spital«, sagte sie aufgeregt. Corinas Stimme wechselte zwischen Vorwurf und Verzweiflung. »Sie ist mir zusammengebrochen, einfach so.« Und dass er auf dem Handy nie erreichbar sei, sagte sie auch noch. Kein Wort darüber, wann es passiert war und in welches Spital man Kathrin gebracht hatte. Der Kommissar suchte sein Mobiltelefon, dann suchte er das Netzteil. »Scheißakku«, fluchte er. »Man bricht doch nicht einfach zusammen, nicht mit fünfzehn.« Als sein Handy wieder Strom hatte, wählte er Corinas neue Nummer, die er in der Anruferliste fand. Es meldete sich niemand. »Horgen«, murmelte er. »Sicher ist es das Spital Horgen. Verflixt.« Er sah auf die Uhr, es war zehn nach sieben. Im Präsidium würde er niemand mehr erreichen. Vielleicht hatte ihm Rosa eine Nachricht hinterlassen; eine SMS oder eine Mitteilung auf seiner Combox. Für Notfälle war ein Handy, das man abstellte, weil es einen nervte, dass man wegen Kleinigkeiten immer und überall gestört wurde, nichts wert. Eschenbach kam die Geschichte in den Sinn, bei der ein Junge mit seinen Anrufen ständig die Feuerwehr genarrt hatte; jedes Mal rückte der Löschzug vergeblich aus. Und als es dann wirklich einmal brannte, kam niemand mehr. Wir informieren uns in den Wahnsinn, dachte er und suchte auf dem Display
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