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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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nicht nehmen, denn das Risiko, seinen Aufenthaltsort
anhand der Nummernschilder zu ermitteln, erschien ihm zu hoch.
    Er benötigte Zeit, um eine Entscheidung treffen zu können. Auf seiner Flucht hatte er zunächst die Autobahn in Richtung Norden genommen, seinen Wagen vollgetankt und an einem Geldautomaten fünfhundert Euro abgehoben, bevor er an der nächsten Abfahrt gewendet und die Fahrtrichtung geändert hatte. Dementsprechend würde man ihn, solange er seine EC-Karte nicht mehr benutzte, nicht in Richtung Osten vermuten, hoffte er.
    Heute waren nur wenige Wolken am Himmel, und er blickte auf die vereinzelten Segelboote, die in der Wintersonne über den See schipperten.
    Bruno lag lang ausgestreckt neben ihm. Der Hund hatte sich einigermaßen erholt und sogar erstmals wieder ein paar Bissen zu sich genommen. Dennoch war er immer noch sehr schwach und döste seit Stunden vor sich hin.
    Alexander Jensen kraulte ihm liebevoll das Fell, während er mit angezogenen Beinen auf dem Bootssteg hockte und darüber nachdachte, wann sein Leben schon einmal eine so verhängnisvolle Wendung erfahren hatte.
     
    Mai 1993
    Die Aula war bis auf den letzten Sitz gefüllt und alle – vor allem die Schülerinnen – jubelten schon, als die Jungs von »Your Way« nur ihre Gitarren stimmten. Es war das Ereignis des Jahres auf dem Hamburger Gymnasium Uhlenhorst-Barmbek.

    »Your Way« war die legendäre Schulband, und da drei ihrer Mitglieder zum Abitur-Jahrgang zählten, war klar, dass die Band auf dem Abschlussfest spielte.
    Alex lehnte cool an einer der Säulen im hinteren Teil der Aula und trank sein Bier. Es ging ihm gut. Es ging ihm sogar verdammt gut. Thomas und Mathias hatten nicht schlecht gestaunt, als er mit dem Golf Turbo Diesel seines Bruders auf dem Schulparkplatz vorgefahren war.
    Stolz hatte er verkündet, dass dies schon in Kürze seine eigenen Schüssel sein würden. Sie hatten den Wagen mehrfach umkreist, und Mathias hatte anerkennend durch die Zähne gepfiffen, während sie sich gegenseitig abklatschten: »Hey, Mann«, »Cool, Mann«, »Alles klar, Mann«.
    Er hatte eine ganze Menge Leute begrüßt und stand anschließend so lange wie möglich lässig an die offene Fahrertür gelehnt, während er mit seiner neuen Ray-Ban-Sonnenbrille herumspielte. Ihm war bewusst, dass er in seiner kurzen Fliegerjacke aus Leder und den Stiefeln von La Scarpa unendlich cool aussah. He was the king of the road . Die Welt lag ihm zu Füßen.
    Der Wagen war aber nicht das Beste. Das Beste war Christina. Er hatte sie und ihre Schwester zu Hause abgeholt. Christina hatte neben ihm auf dem Beifahrersitz gesessen. Sie hatten Musik von Depeche Mode gehört und an den Ampeln wild herumgeknutscht. Dass die zwei Jahre jüngere Claudia hinten saß, war ihm total egal gewesen. Christina war das Mädchen der Stufe zwölf. Sie war eine absolute Traumfrau, und seit drei Wochen ging er ganz offiziell mit ihr.
    Als die Band anfing zu spielen, löste sich Alex von seinem
Platz an der Säule und schlenderte durch die Menge in Richtung Bühne. Ihm war, als würde das Publikum für ihn extra eine Schneise bilden. Er warf hier und da zur Begrüßung ein »Hey, Mann, was geht ab?« in die Menge und bahnte sich selbstbewusst seinen Weg zu ihr – zu Christina.
    Sie hatte einen guten Platz relativ weit vorn an der Bühne ergattern können und kicherte dort mit ihren Freundinnen herum. Sie klangen wie Hühner auf einem Bauernhof, fand er, aber es störte ihn nicht. Christina war trotzdem süß.
    Er stellte sich hinter sie und legte lässig seine linke Hand um ihre schmale Taille, selbstverständlich ohne das Bier aus der Hand zu legen. Sie lehnte sich an ihn, und beide wippten gemeinsam im Takt der Musik hin und her.
    Die Band war der Hammer. Der Leadsänger gehörte zum Abitur-Jahrgang und war der Älteste des Jahrgangs. Er wollte Musiker werden, und die Mädchen fuhren extrem auf ihn ab. Blond, blaue Augen, Surfertyp – das mochten sie. Der Typ hieß Robert, wurde aber natürlich Robbie genannt. Alex fand ihn insgeheim ziemlich zum Kotzen, aber die Musik gefiel ihm trotzdem.
    Die Band spielte »My heart for you«, und viele zündeten ihre Feuerzeuge an und hielten sie mit gestreckten Armen in die Höhe. Alle sangen gemeinsam, und im Glanz der Lichtpunkte erschien ihm die Aula plötzlich nicht mehr wie ein Schulgebäude, sondern wie ein gigantischer Konzertsaal oder dem, was er sich darunter vorstellte.
    Die Menge tobte, als das Lied zu Ende war. Robbie

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