Eiszeit
Allerdings nichts, was uns ernsthaft Sorgen machen würde. Die Dinge laufen gut.«
»Also haben Sie die Unterlagen nicht gefunden?«
»Ich bin, wie ich Ihnen schon vor ein paar Tagen erklärt habe, sicher, dass der Italiener damit nichts zu tun hat. Wie sollte der Mann an solche Informationen gekommen sein? Noch einmal: Die Dinge laufen gut.«
»Das klingt nicht sehr vertrauenerweckend . Offen gestanden wäre es mir viel lieber, Sie würden die Dinge so laufen lassen, wie wir es vereinbart hatten. Dazu gehört nach meiner Erinnerung auch ganz sicher kein toter Penner am Fulda-Ufer, oder irre ich mich?«
»Ein Kollateralschaden , nicht mehr«, gab er mit einer abfälligen Geste zurück.
»Und Sie meinen nicht, dass die Polizei zwei und zwei zusammenzählen kann?«
Sein Gesicht hellte sich wieder auf.
» Señora Mälzer, da, wo ich herkomme, sagt man: ›In den Geschichtsbüchern steht nicht, wie du gewonnen hast, sondern nur, dass du gewonnen hast.‹ Denken Sie daran, wenn Sie übernächstes Jahr unser gemeinsames Projekt einweihen. Denn dann wird Sie niemand mehr fragen, wie Sie gewonnen haben.«
»Das wünsche ich uns. Aber bis dahin sollten Sie Ihre Cowboyspiele auf das begrenzen, was zwischen uns vereinbart war. Und Lappert stand, wie gesagt, auf keinem unserer Lastenzettel.«
Er nahm den Blick vom Seepanorama, fixierte sie einige Sekunden lang und antwortete ihr dann völlig emotionslos.
»Frau Mälzer, Sie sollten nicht vergessen, dass meine Auftraggeber, die Ihre Geldgeber sind, an einer möglichst reibungslosen Abwicklung Ihres Engagements interessiert sind, nicht mehr und nicht weniger. Sie benutzen Bagger, um hinderliche Steine aus dem Weg zu räumen, meine Männer und ich machen nichts anderes. Ich gebe Ihnen keine Tipps, wie und wo Ihre Bagger am besten einzusetzen sind, und Sie halten sich aus unseren Aktivitäten heraus. Entendido ?«
In diesem Augenblick stoppte die Gondelbahn ruckartig, die Kabine schaukelte nach vorne und Molina Mälzer wurde auf den Schoß des Mannes katapultiert. Sie wurde kreidebleich, murmelte einen obszönen Fluch, stieß sich mit einer kraftvollen Bewegung von seinen Schultern ab, ließ sich auf ihren Sitz zurückfallen und krampfte ihre rechte Hand um den Griff der Tür. Ihr Gegenüber sah ihr völlig ungerührt zu, und in diesem Moment wurde der Unternehmerin schlagartig klar, dass sie diesen Mann in den Wochen, seit er zum ersten Mal in Kassel aufgetaucht war, hoffnungslos unterschätzt hatte.
»Glotzen Sie nicht so!«, herrschte sie ihn an, doch sein Ausdruck blieb unverändert.
» Señora Mälzer, bitte. Ich bin nicht einer Ihrer Lakaien, mit dem Sie wie la Jefa reden können. Sie sind nicht meine Chefin und je schneller Sie das akzeptieren, desto weniger Probleme werden wir haben.«
Sie zog mit der freien linken Hand ihren Rock Richtung Knie, strich ihn gerade und presste die Zähne mit solchem Druck aufeinander, dass das Spiel ihrer Backenmuskeln sichtbar wurde. Dann drehte sie sich um und wollte nach unten sehen, doch nun setzte sich die kleine Kabine wieder in Bewegung.
»Endlich!«, stöhnte sie.
*
Ein paar Minuten später hatten sie die obere Station erreicht. Während der restlichen Fahrt hatte keiner der beiden ein Wort gesprochen. Molina Mälzer blickte auf der linken Seite aus dem Fenster, der Mann auf der rechten. Er stieg als Erster aus und wollte ihr danach beim Aussteigen helfen, doch sie wies seinen ausgesteckten Arm brüsk zurück.
»Kein Grund, so unfreundlich zu sein«, bemerkte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich verfluche den Tag, an dem Ihre Auftraggeber Sie nach Kassel geschickt haben. Und ich freue mich auf den Tag, an dem Sie wieder unter dem Stein verschwunden sein werden, unter dem Sie hervorgekrochen sind. Bis es so weit ist, hoffe ich, möglichst wenig mit Ihnen zu tun haben zu müssen.« Sie drehte sich grußlos um und wollte ihn stehen lassen, doch er griff mit einer schnellen Bewegung nach ihrem Arm, drückte seine rechte Hand so kräftig in ihr Fleisch, dass sie leise aufschrie, und sah sie übertrieben freundlich an.
»Was ich Ihnen jetzt sage, Frau Mälzer, werde ich nicht wiederholen, passen Sie deshalb gut auf.«
Hinter ihnen hatte die nächste Kabine die Bergstation erreicht und zwei Frauen in Wanderschuhen stiegen aus. Deshalb schob er sie ein Stück zur Seite, ohne jedoch den Druck von ihrem Arm zu nehmen.
»Wir, das heißt, meine Auftraggeber und ich sind in einer sehr komfortablen Situation. Wir haben
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