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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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nicht getan habe, ist mein Leben auch vorbei.
Wer sagt überhaupt, dass Oberrautner sie ins Trentino gebracht hat? Vielleicht
ist sie im Ortlergebiet. Oder gar nicht in den Bergen.«
    Dicke Regentropfen klatschen senkrecht auf sie herab. »Kommen Sie,
meine Herren, setzen wir uns ins Auto, bis die Kollegen hier sind. Bellini,
Ihre Freundin ist nicht am Ortler. Warum sonst hat Oberrautner uns ausgerechnet
hierher bestellt?« Baroncinis Ortskenntnisse täuschten ihn nicht. Über das
Ultental kam man einigermaßen schnell ins Val Vermiglio. Eine bergige Strecke
über einige Passhöhen, keine achtzig Kilometer. Allerdings war es zum Ortler,
dem höchsten Berg Südtirols, auch nicht weiter. Vincenzo wurde immer unruhiger.
Das tatenlose Rumsitzen machte ihn nervös. Er wollte hinter Oberrautner her.
Hoffentlich konnten die Kollegen vom Hubschrauber aus das Gelände weiträumig
überwachen und entdeckten ihn.
    Baroncinis Mobiltelefon und das Handy des Spielführers klingelten gleichzeitig.
    Ein Anruf aus der Questura. »Der Hubschrauber kann nicht starten,
Vice-Questore, wegen dem Unwetter.«
    »Was für ein Unwetter? Meinen Sie die paar Regentropfen?«
    »Im Val Vermiglio tobt ein fürchterlicher Gewittersturm mit schwerem
Hagel. Gab schon etliche Schäden. Es stürmt wie wild, keine Chance für den
Helikopter. Außerdem soll dem Gewitter rasend schnell der Wintereinbruch
folgen. Tut mir leid.«
    Baroncini sah Vincenzo an, aus dessen Gesicht sämtliche Farbe
gewichen war. »Sie haben es mitbekommen, Commissario. Der Hubschrauber kann
nicht starten. Was hat Oberrautner gesagt?«
    Vincenzo sah Baroncini aus glasigen Augen an. »Zwei Worte: game over .«
    ***
    Presanellagletscher, 13.25 Uhr
    Der Sturm peitschte über den Gletscher, schüttelte
Mauracher in ihrem Biwaksack durch. Blitz und Donner hatten nachgelassen, aber
es stürmte weiterhin mit einer Heftigkeit, als stünde der Weltuntergang bevor.
Es war nachtdunkel und sah nicht nach einer schnellen Wetterberuhigung aus.
Vorsichtig öffnete sie den Reißverschluss ein wenig, um hinauszuschauen. Dicke
Schneeflocken rasten waagerecht in irrem Tempo durch die Luft.
    Doch von einer Sekunde zur anderen war der Spuk vorbei. Es war wie
so oft im Hochgebirge: Ein Gewitter zog rasend schnell auf, es entlud sich mit
Sturm, Hagel, Schnee, dann hörte es ebenso unvermittelt wieder auf. Minuten
später kam die Sonne durch und schien auf die frisch gefallene dünne
Schneeschicht, als wäre nichts geschehen.
    Mauracher vergrub ihr Gesicht in den Händen, atmete tief durch.
Ruhig bleiben. Methodisch vorgehen. Sie wickelte sich aus ihrem Notquartier,
packte es ein, schaute in alle Himmelsrichtungen. Die Gewittertürme waren in
sich zusammengefallen, die dunklen Wolken spurlos verschwunden. Doch über den
Gipfeln im Norden konnte sie einen lang gezogenen schwarzen Strich erkennen.
Das war die Luftmassengrenze, die eigentliche Wetterfront. Allein ihrem
Anrücken war es zu verdanken, dass sich das Gewitter so schnell aufgelöst
hatte.
    Sie musste sofort in den Gletscher. Mit Winnies Skizzen hoffte sie,
die alte Kaverne auf Anhieb zu finden. Entweder Gianna war dort oder nicht. Sie
musste sie sich schnappen, sie ohne Zeitverzögerung aus dem Gletscher führen,
auf ihrem Tandemboard sichern. Und dann nichts wie weg. In einer halben Stunde
würde es losgehen. Die kleine Sabine mit der großen Gianna auf einem
Tandemboard in einem Schneesturm. Was für eine bizarre Vorstellung.
    Das Gewitter erwies sich sogar als Vorteil, durch die dünne
Neuschneedecke würden sie auf dem Snowboard besser vorankommen. Hoffentlich
schneite es nachher nicht gleich so heftig. Bitte lass es
langsam angehen , schickte Mauracher ein Stoßgebet zum Himmel.
    Sie setzte ihren Rucksack auf, ging zielstrebig auf die lange
Querspalte zu. Wenig später stand sie direkt davor, blickte hinein in die
Tiefe. Es war wie der Blick in einen riesigen Schlund. Die Spalte war gut einen
Meter breit, ihre Tiefe konnte man nicht erahnen, es schien endlos
abwärtszugehen. An den Rändern hatten sich durch die jüngsten Kältewellen
meterlange, schimmernde Eiszapfen gebildet, die wie scharfe Zähne in die Kluft
hineinragten. Sabine Mauracher spürte eine unbändige Faszination in sich
aufsteigen. Das war exakt ihr Ding. Wie weit mochte es da runtergehen? Dreißig Meter?
Vierzig? Oder gar mehr als fünfzig?
    Sie setzte den Rucksack ab, holte das lange Seil heraus, baute einen
Stand am Rand der Spalte, seilte sich ab. Langsam, Meter für

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