Eiszeit in Bozen
es bis auf
Valentins Jeans schaffte. »Sorry, Hans, das war er. Ich … ich muss los.«
Valentin rief hinter ihm her: »Fahr trotzdem vorsichtig. Ich warte
auf dich, egal, wie lange es dauert.«
Sekunden später bretterte Vincenzo mit seinem leistungsstarken
Alfa durch den ruhigen Ort. Auf der Hauptstraße fuhr er teilweise hundertsechzig,
gottlob war es trocken. Diese miese Ratte wollte ihn quälen, das machte ihm
offensichtlich Spaß. Vincenzo hatte Angst um Gianna, aber er empfand auch einen
ungeheuren Hass auf den Mann, der sie in seiner Gewalt hatte. Nach wenigen
Minuten hatte er den ersten Tunnel erreicht. Ein Blick auf die Uhr: gut in der
Zeit. Er raste durch die Kurven, durch den dritten Tunnel, durch den vierten …
Im achten Tunnel war es schließlich so weit. Ein großer Lkw, der im
Schneckentempo vor ihm herkroch. An einem Sonntag. Keine Chance zu überholen.
Das war’s. Er hupte, blendete auf, deutete auf seine Armbanduhr,
hoffte, dass der Fahrer vor ihm erkannte, dass der Drängler ihn nicht ärgern
wollte, sondern unter Zeitdruck stand. Aber der Mann verstand nicht oder wollte
nicht verstehen. Das Fenster auf der Fahrerseite wurde heruntergekurbelt, eine
Hand mit durchgestrecktem Mittelfinger herausgestreckt. Der Lkw-Fahrer nahm den
Fuß vom Gas, verlangsamte bis auf Tempo zwanzig. Vincenzo begann zu schwitzen,
seine Aufregung wuchs mit jeder Sekunde, die verstrich. Weil er einen
stumpfsinnigen Schwachkopf vor sich hatte, würde er zu spät kommen. Darauf
hoffte der Spielführer . Um ihn, Vincenzo, zu
bestrafen. Er wollte gar nicht wissen, wie diese Strafe aussehen würde. Das
konnte er nicht zulassen!
Mitten in einem der nächsten Tunnel scherte Vincenzo aus und gab
Vollgas. Wäre ihm jemand entgegengekommen, hätte es gekracht. Auf Höhe der
Mittelachse war nur noch wenige Zentimeter Platz auf beiden Seiten. Der Mann im
Führerhaus war viel zu überrascht, um zu reagieren. Gerade, als Vincenzo rechts
einscheren wollte, gab es auf der linken Seite einen lauten Knall. Erschrocken
sah er aus dem Fenster. Er hatte die Tunnelwand touchiert und seinen ganzen
Außenspiegel abgerissen. Das spielte keine Rolle. Es stand bei Weitem mehr auf
dem Spiel als ein Außenspiegel. Er raste talwärts. Im Rückspiegel sah er die
Lichthupe und wütende Gesten des Lkw-Fahrers.
Nassgeschwitzt erreichte er die Via della Torre, fuhr sie im
Schritttempo entlang. Nervös spähte er auf die beiden Parkreihen. Endlich, auf
der rechten Seite, der BMW . Er steuerte darauf
zu, wollte schon anhalten, da bemerkte er, dass es ein Modell mit Fließheck
war. Langsam fuhr er weiter, schaute auf die Uhr in seinem Wagen. Zehn Uhr
zweiunddreißig, zu spät. Wegen eines bornierten Lkw-Fahrers. Was hatte sich der Spielführer wohl für eine teuflische Strafe
ausgedacht?
Am Ende der Straße, einer Sackgasse, stand der Kombi. Er sprang aus
dem Wagen, hinterlegte den einen Umschlag, nahm sich den anderen. Er war gerade
im Begriff, wieder einzusteigen, als das Handy klingelte. »Ich bin gerast wie
ein Verrückter, schneller ging es nicht!«
»Bleib locker, Vincenzo, mein Freund. Zwei Minuten. Klar, das reicht
für eine Strafe. Aber ich sehe selbst, was mit deinem Außenspiegel passiert
ist. Ich will deinen guten Willen belohnen, dir einen Punkt gutschreiben und
auf eine Strafe verzichten …«
Vincenzo sah sich nach allen Seiten um. Er wurde überwacht.
»… gib dir keine Mühe. Du kannst mich nicht sehen. Es läuft nur
andersrum. Sonst wäre ich ein schlechter Spielführer. Steig brav in deinen
schicken Alfa, fahr nach Hause, entspann dich. Deine nächste Aufgabe wird dir
mehr abverlangen.«
Es war still in der Leitung. Das war unheimlich. Vincenzo fühlte
sich ausgeliefert und auf eine erniedrigende Weise entblößt. In was für eine
skurrile Situation er geraten war! Da fuhr er an einem Sonntagvormittag in ein
Wohngebiet und machte sich an einem Auto zu schaffen. Wenn das jemand
beobachtet hatte? Wenn jemand gesehen hatte, dass ein Fremder etwas hinter
seinem Auto oder dem eines Nachbarn deponiert hatte? Total verrückt. Offenbar
war es Teil des Spiels, ihn, den Commissario, in möglichst peinliche,
unangenehme Situationen zu bringen. Mit Gianna als Pfand und Druckmittel. Und
das war erst der Anfang. Vincenzo warf den Umschlag auf den Beifahrersitz und
fuhr los.
Zu Hause angekommen, fand er Valentin in diverse Wanderkarten
vertieft, obenauf lag eine Tourenkarte des Ortlermassivs. »Erzähl, Vincenzo,
wie ist es
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