Eiszeit in Bozen
berichten. Auch
Sabine Mauracher informierte er und lud sie zu dem informellen Treffen in der
Questura ein, das Baroncini für den frühen Sonntagnachmittag angesetzt hatte.
Vincenzo war beeindruckt von der Selbstsicherheit des jungen Mädchens, das
zugleich so auffallend natürlich wirkte. Vielleicht war es gerade ihre
unbekümmerte Art, ihr Denken, das noch frei von Schubladen war, das sie in diesem
verzwickten Fall brauchen konnten.
Da Vincenzo wusste, dass Baroncini einen Straftäter nicht
eigenmächtig auf freien Fuß setzen konnte, drängte die Zeit. Mit ratlosen
Gesichtern saßen sie sich am Designertisch des Vice-Questore gegenüber.
Alessandro Baroncini war anzumerken, wie sehr dieser Fall ihn belastete. Er
wirkte nicht so souverän wie sonst, schien genau wie Vincenzo wenig geschlafen
zu haben. »Der Mann hat unzählige Brände gelegt, die finanziellen Schäden gehen
in die Tausende. Außerdem könnte bei einem weiteren Anschlag ein Mensch zu
Schaden kommen. Wie soll ich es rechtfertigen, eine solche Gefahr für die
Öffentlichkeit frei herumlaufen zu lassen? Damit, dass wir uns dem kranken
Willen eines Erpressers beugen? Ist Ihnen klar, wie der Capo darauf reagieren
wird? Stellen Sie sich schon mal auf einen neuen Vice-Questore ein.«
Vincenzo hielt das Schreiben in die Höhe. »Ich verstehe Sie,
Dottore, aber Sie haben es selbst gelesen. Wenn wir seinen Forderungen nicht
nachkommen, wird vermutlich Schlimmeres passieren als ein brennender
Holzstapel.«
Baroncini nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen.
Normalerweise saß er stets kerzengerade auf seinem Stuhl, heute versank er
förmlich darin. »Man muss sich das mal vorstellen. Ein Wahnsinniger entführt
die Lebensgefährtin eines Polizisten, versteckt sie an einem Ort, den wir
unmöglich finden können, und erpresst damit nicht nur Sie, Commissario Bellini,
sondern den gesamten Polizeiapparat. Ich wüsste nicht, dass es jemals etwas
Vergleichbares in Italien gegeben hätte. Ich bin ratlos. Sie haben natürlich
recht: Lassen wir Filippo Garoffolo nicht laufen, passiert ein viel größeres
Unglück. Ich mag gar nicht an den Talfertoten denken! Andererseits kann ich
eine solche Entscheidung nicht eigenmächtig treffen, sonst bin ich meinen Job
los. Mit anderen Worten: eine ausweglose Situation.«
Sabine Mauracher hatte die Diskussion ihrer Kollegen die ganze Zeit
über aufmerksam verfolgt. Gelegentlich hatte sie, flankiert von Marzolis
entsetzten Blicken, nach einem Cantuccino gegriffen. Bei Baroncinis
Ausführungen hatte sie den Keks in ihrer Hand gedankenversunken betrachtet,
jetzt legte sie ihn auf dem Teller, der vor ihr stand, ab und ergriff mit einer
angesichts ihrer schmalen Statur erstaunlich kräftigen Stimme das Wort: »Nicht
unbedingt. Vielleicht gibt es eine Lösung.«
Die Männer sahen sie fragend an.
»Was fordert er?«, fuhr Mauracher fort. »Wir sollen Garoffolo
freilassen und der ›Dolomiten‹ gegenüber zugeben, dass uns Fehler unterlaufen
sind. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Capo della Polizia seine
Einwilligung dafür geben wird. Aber was wäre, wenn wir Garoffolo die Flucht
ermöglichen?«
Für einen Moment war es still. Drei nachdenklich blickende
Augenpaare waren auf die angehende Polizistin gerichtet. Schließlich beugte
sich der Vice-Questore, dem anzumerken war, dass er mit Maurachers forscher Art
schlechter zurechtkam als Vincenzo, über den Tisch und fragte leise:
»Wie stellen Sie sich das vor, Mädchen? Meinen Sie nicht, dass Sie
sich mit solchen Vorschlägen noch ein bisschen zurückhalten sollten?«
Mauracher ließ sich selbst durch den ranghohen Vorgesetzen nicht
beirren. »Wir könnten so tun, als wollten wir ihn in ein anderes Gefängnis
bringen. Wir setzen ihn in einen Wagen, fahren ein Stück aus Bozen hinaus und
steuern unter einem Vorwand einen kleinen Parkplatz an. Der Fahrer verlässt den
Wagen, weil er dringend austreten muss, geht ein Stück in den Wald und vergisst
abzuschließen. Diese unverhoffte Gelegenheit muss unser Mann nutzen. Wenn
nicht, sagt der Fahrer zu ihm ›Hau ab‹. Natürlich müsste jemand bereitstehen,
um ihn von Anfang an zu beschatten. Wir behalten das vorläufig für uns. Es wäre
nicht Ihre Schuld, Dottore, Fehler können jedem passieren. Den Capo della
Polizia müssten wir gar nicht informieren. Fasciani ist auf unserer Seite, wir
können Einfluss auf die Gestaltung seines Artikels nehmen. Einen Gefangenen
entkommen zu lassen, ist genau das Versagen der
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