Eiszeit in Bozen
Und eine Respektsperson
wie ein Commissario war eines ihrer liebsten Opfer. »Wie kommen Sie darauf?«
Die Nachbarin legte Pathos in ihre Stimme: »Eines Morgens hat er das
Haus verlassen und seitdem ist er nicht mehr zurückgekommen. Was hat er denn
angestellt? Hat er eine Bank überfallen oder gar jemanden umgebracht?« Sie sah
ihn neugierig und voller Sensationslust an.
Obwohl der Blick der alten Dame ihn förmlich durchbohrte, ging
Vincenzo nicht auf ihre Fragen ein. »Woher wollen Sie das wissen? Hier wohnen
eine Menge Leute. Sie werden kaum mitkriegen, wer alles kommt und geht.«
Sie hob einen Zeigfinger. »Sagen Sie das nicht. Ich kriege alles
mit! Außerdem …« Sie machte eine bedeutungsvolle Sprechpause, damit er
Gelegenheit hatte, interessiert nachzufragen.
Vincenzo tat ihr den Gefallen. »Außerdem was, Signora?«
Sie atmete tief ein. »Außerdem kenne ich Edoardo gut.«
Vincenzo versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie genervt er
inzwischen war. »Aha. Und wer ist dieser Edoardo?«
»Der Hausmeister!« Anneliese Kössler lächelte triumphierend.
Vincenzo wartete darauf, dass sie weitersprach, doch wiederum ließ
sie sich bitten. »Höchst interessant, Signora Kössler, aber was hat das mit
Herrn Zabatino zu tun?«
»Na ja, ich dachte halt … Ich meine, es hätte schließlich weiß Gott
was passiert sein können, stimmt’s? Nicht, dass Sie mir jetzt was anhängen!«,
sagte sie mit erneut erhobenem Zeigefinger.
Vincenzo sah auf seine Uhr. In zwei Stunden kam Hans zu ihm. Bis
dahin wollte er alles, was sie an Fakten zusammengetragen hatten, noch zu
Papier bringen, egal, wie unwichtig es auf den ersten Blick erscheinen mochte.
»Signora, entschuldigen Sie meine Ungeduld, ich habe nicht ewig Zeit. Was
wollen Sie mir sagen?«
»Na ja, als der Zabatino tagelang nicht nach Hause kam, dachte ich
halt, dem ist was passiert. Hätte ja sein können, dass ich doch nicht
mitgekriegt habe, dass er wieder da ist. Der hätte doch tot in seiner Wohnung
liegen können! Verstehen Sie, was ich meine? Tja, dann sind wir halt rein.«
»Sie sind was?«
»Na, der Edoardo und ich. Sind in seine Wohnung. Der hat doch die
Schlüssel von allen. Erst vorgestern. Aber Zabatino war nicht da. Bett
ordentlich gemacht, nix in der Spülmaschine, die Wohnung eiskalt. Verstehen
Sie?«
Vincenzo verstand. Und es beunruhigte ihn. Was lief hier ab?
»Signora, eines vorweg: Es ist mir egal, ob Sie widerrechtlich in Herrn
Zabatinos Wohnung eingedrungen sind oder nicht. Aber beantworten Sie mir zwei
Fragen. Erstens: Haben Sie den Schlüssel noch? Dann geben Sie ihn mir bitte.
Zweitens: Können Sie sich erinnern, wann Sie Herrn Zabatino zum letzten Mal
gesehen haben?«
»Ja!«
»Was ja?«
»Beides. Ich habe den Schlüssel.« Sie fummelte hektisch in der
Tasche ihres fleckigen Rockes herum und förderte einen Wohnungsschlüssel
zutage, den sie Vincenzo gab. »Ich hab ihn am 27. September noch gesehen.
Das war ein Montag. Da hat er wie jeden Morgen das Haus um halb acht verlassen.
Ich habe zufällig durchs Fenster auf die Straße geschaut.«
»Warum können Sie sich so gut daran erinnern?«
»Woran?«
»Signora! Das Datum! Warum können Sie sich so gut daran erinnern?«
»Sagen Sie das doch gleich! Der hatte Putzdienst! Wissen Sie was?
Nix hat der gemacht, der faule Hund. Da dachte ich mir, wenn der zurückkommt,
werd ich ihm was erzählen. So geht das nicht. Wo kämen wir denn da hin, wenn
hier jeder macht, was er will. Oder?« Vincenzo konnte sich gut vorstellen,
welches Donnerwetter den bedauernswerten Psychiater erwartet hätte, wäre er der
Vertrauten des Hausmeisters im Flur begegnet.
Die Gedanken kreisten in seinem Kopf. 27. September … »Signora,
ich gehe jetzt in Herrn Zabatinos Wohnung. Inzwischen verlassen Sie das Haus
bitte nicht, falls ich nachher noch Fragen habe.«
»Soll ich nicht lieber mitkommen? Ich mein, Sie kennen sich da ja
nicht aus.«
»Nein!«
»Schon gut, regen Sie sich nicht gleich so auf! War nur gut
gemeint.« Beleidigt schloss sie die Tür hinter sich. Endlich. Was für ein
grauenvolles Weib.
Zabatinos Wohnung sah aus, wie seine Nachbarin es beschrieben hatte.
Allzu viel konnte Vincenzo nicht ausrichten, das war am Montag Sache der
Spurensicherung. Ein Detail interessierte ihn aber schon jetzt. Mit einem
Taschentuch hob er vorsichtig das Telefon aus der Ladestation, um sich die
Liste der gewählten Rufnummern anzusehen. Er wählte die letzte Nummer. Ein
Anrufbeantworter sprang
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