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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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Polizei, das der Erpresser
sehen will. Was halten Sie davon?«
    Alessandro Baroncini starrte erst Mauracher an, dann schaute er auf
die gegenüberliegende Wand, die von einem Druck von Kandinskys farbgewaltiger
»Flood Improvisation« in Originalgröße verziert wurde.
    Vincenzo konnte den Blick nicht von Sabine Mauracher abwenden, die
sanft in ihrem Freischwinger wippte und den Commissario anlächelte. »Das ist
genial!«, war das Einzige, das ihm auf Anhieb zu ihrem Vorschlag einfiel.
    Der Vice-Questore stand auf und ging mit hinter dem Rücken
verschränkten Armen zu seinem Fenster. Alle schwiegen. Schließlich drehte er
sich um. Er hatte eine Entscheidung getroffen.
    »Gut, so machen wir es. Auf diese Weise können wir zwei Fliegen mit
einer Klappe schlagen: Die irrwitzige Forderung des Erpressers erfüllen und
verhindern, dass wir offiziell gegen Gesetze verstoßen. Ich muss zugeben, dass
ich beeindruckt bin, Signora. Ispettore Marzoli, Sie übernehmen den Fahrdienst.
Signora Mauracher darf dann gleich mit der Observierung des Brandstifters
beginnen. Danach übernimmt das die Bereitschaft. Gut, dass momentan ansonsten
wenig los ist. Falls er uns entwischt, müssen wir beten, dass nichts
Schlimmeres passiert. Sie, Commissario Bellini, halten sich bereit für den
Fall, dass der Entführer sich wieder meldet. Sprechen Sie Montagmorgen mit
Signora Oberrautner. Haken Sie nach. Sobald Garoffolo auf freiem Fuß ist, informieren
Sie diesen Reporter. Ich mag gar nicht daran denken, was der aus dieser
Geschichte macht und wie blöd wir dann dastehen. Allein, wir haben keine andere
Wahl.«
    ***
    Im Gletscher
    Der Gletscher war tief verschneit. Erst am Vortag hatten
die heftigen Schneefälle aufgehört. Jetzt schien die Sonne milchig durch hohe
Schleierwolken, die bereits das nächste Tiefdruckgebiet ankündigten. Der
Nordwind brachte eisige Luftmassen mit sich. Bis auf fast tausend Meter herab
lag Schnee. Gewöhnlich war der Oktober ein guter Monat für Bergtouren, dann
strömten zahlreiche Touristen nach Südtirol, um Wanderungen durch die Bergwelt
mit dem Törggelen zu verbinden. Das war ein alter Brauch von Bauern und
Weinhändlern, bei dem in vielen Ortschaften der Suse – der neue Wein vor der
Gärung – zu gerösteten Kastanien, Speck, Kaminwurzen, Knödeln und Schüttelbrot
verköstigt wurde. In diesem Jahr jedoch blieben die meisten Gäste aus. Kälte
und Regen schreckten sie ab und größere Bergtouren waren so gut wie unmöglich.
    Ungeachtet der Unbilden der Natur fuhr der Jeep das inzwischen
winterlich verschneite Tal hinauf. Niemand kam ihm entgegen. In den kleinen
Ortschaften sah man höchstens ein paar Kinder auf den Straßen, die voller
Enthusiasmus Schneemänner bauten oder sich kreischend wilde
Schneeballschlachten lieferten. Langsam schraubte sich der Geländewagen durch
die zahlreichen Kehren in den steilen Bergwald hinein. Am Ende der kleinen
Straße stieg der Bergsteiger aus und ging auf seinen Skiern los. Bald darauf
erreichte er den Gletscher.
    Die Spalten waren zugeschneit, kein Lichtstrahl schaffte es in die
Tiefen des Eises. An dem kleinen See tief im Herzen des Gletschers, neben dem
zwei kleine Zelte aufgebaut waren, spielte das keine Rolle. Das einzige
natürliche Licht, ein kaltes, schwaches, unheimliches Leuchten, ging ohnehin
vom Eis aus. Ein Labyrinth aus natürlichen und offenbar künstlich angelegten
Wegen führte zu diesem See, vorbei an bizarren Eisformationen, die sich im
steten Wechsel der Jahreszeiten gebildet hatten. Ein Zelt war dunkel, in ihm
befanden sich Lebensmittel, Winterkleidung, Fackeln. In dem anderen Zelt
brannte Licht. Auf einem Gaskocher stand ein Topf mit Teewasser. Er spendete
ein bisschen Wärme. Es war gespenstisch still.
    Plötzlich ging der Reißverschluss am Zelteingang auf, und jemand
trat ins Freie. Verpackt in dicke Handschuhe und eine Pelzmütze blickte Gianna
sich um. Noch das kleinste Geräusch nahm sie wie durch einen Verstärker wahr.
Es genügte, wenn ein kleines Stück Eis in den See fiel, und schon wurde sie von
Panik erfasst. Ihre Unruhe wurde von Tag zu Tag schlimmer. Aber was bedeutete
in dieser Hölle aus Eis schon ein Tag? Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie
hier schon gefangen oder wie spät es gerade war.
    Sie hatte nicht einmal eine genaue Vorstellung davon, was eigentlich
geschehen war, ehe sie hier unten erwachte. Sie erinnerte sich noch, wie
Vincenzo sie an den Zug nach Mailand gebracht hatte. Bei der Abfahrt hatten sie
sich voll

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