Eiszeit in Bozen
Kapuzenpullover, der mindestens eine Nummer
zu groß war. Man konnte ihre Figur darunter kaum erahnen. »Ist der Commissario
schon lange mit Gianna zusammen?«
Marzoli war überrascht über Maurachers Interesse am Privatleben
seines Kollegen. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Och, nur so, um mir vorzustellen, wie schlimm das für ihn ist.«
»Soweit ich weiß, kennen sich die beiden seit ungefähr zwei Jahren.«
Sabine Mauracher überlegte. »Warum wohnen sie dann noch so weit
auseinander? Es muss doch schrecklich sein, so lange bloß eine
Wochenendbeziehung zu führen.«
Warum stellte das Mädchen bloß solche Fragen? »Woher soll ich das
wissen? Immerhin ist sie Anwältin in der Kanzlei ihrer Eltern. Warum sollte sie
das aufgeben?«
»Na ja, er könnte doch nach Mailand gehen. Da hätte er außerdem viel
bessere Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn man sich liebt, lebt man doch nicht
freiwillig so lange getrennt.«
Marzoli fühlte sich unbehaglich bei diesem Thema. »Wir sollten uns
lieber auf unseren Fall konzentrieren. Haben Sie denn einen Freund?«
»Nö, im Moment nicht«, sagte sie, als wäre ihr so etwas
gleichgültig.
Um das Thema zu beenden, stand Marzoli auf und ging zu Vincenzos
Pinnwand. »Was glauben Sie, Signora, hängt die Entführung mit dem Mord
zusammen? Steckt Oberrautner dahinter?«
Es schien Sabine Mauracher nicht zu überraschen, dass ein erfahrener
Kollege sie nach ihrer Meinung fragte. »Für mich hängen die beiden Verbrechen
zusammen, sonnenklar. Ich glaube allerdings nicht, dass es Oberrautner ist.
Aber zufällig ist der nicht gerade jetzt verschwunden.«
»Was macht Sie da so sicher?«
Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Dieser Oberrautner
ist ein kleines Licht. Ein Kokser, ein paar unbedeutende Betrügereien, eine
Erpressung, bei der er sich auch noch stümperhaft angestellt hat. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass der zu so einer abgedrehten Tat fähig wäre.«
Gerade als Marzoli seine vorlaute Kollegin fragen wollte, wie ihrer
Meinung nach jemand unbemerkt täglich aus einer geschlossenen Psychiatrie raus
und rein spazieren könne, betrat Vincenzo sein Büro. Er wirkte angespannt und
schien überrascht, die Kollegen in seinem Büro anzutreffen. »Was macht ihr denn
hier?«
Marzoli erwiderte: »Commissario! Wir sind doch verabredet. Sie haben
gesagt, dass wir einen Schlachtplan entwerfen wollen, abchecken, was wir alles
tun können, ohne Gianna zu gefährden.«
Vincenzo schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Meine
Güte, das habe ich in der Aufregung glatt vergessen. Ich habe den nächsten
Brief bekommen.« Er zog das mehrfach gefaltete Schreiben aus der Gesäßtasche
seiner Jeans und warf es mit einem angewiderten Gesichtsausdruck auf den
kleinen Konferenztisch.
Marzoli setzte sich neben Mauracher, damit sie gleichzeitig lesen
konnten. Die Polizeianwärterin war schneller fertig. Ihr Kommentar war
eindeutig: »Verdammte Hacke! Das ist echt abgefahren.«
Vincenzo gelang angesichts Maurachers laxer Ausdrucksweise sogar ein
Schmunzeln. »Sie sagen es. Was würden Sie an meiner Stelle tun?«
Mauracher schüttelte den Kopf. »Ehrlich, keine Ahnung. Der will Sie
quälen, das ist klar. Entweder Ihre Eltern oder Ihre Freundin. Mann, wer denkt
sich bloß so was aus?«
»Tja, das ist die entscheidende Frage. Hat die Fahndung nach
Oberrautner inzwischen etwas ergeben?«
Marzoli winkte ab. »Rein gar nichts. Der ist wie vom Erdboden
verschluckt. Deshalb bin ich nach wie vor überzeugt, dass er dahintersteckt.
Der Mann schreibt Fantasy-Romane, also könnte ihm auch so etwas wie dieses Spiel einfallen.«
Vincenzo ließ sich schwerfällig in seinem Stuhl nieder. »Letztlich
ist es egal, wer es ist. Solange er Gianna als Faustpfand hat, sind uns die
Hände gebunden. Was seine Forderung angeht, werde ich gleich den Hygienedienst
anrufen. Die rücken an, nehmen Lebensmittelproben und verschwinden wieder.
Deshalb legen die nicht gleich den Betrieb still. In der Küche und den Proben
werden sie nichts finden. Fasciani liefere ich einen Hinweis, dass es
Unregelmäßigkeiten in einer stadtbekannten Trattoria gegeben hat, aber nicht,
in welcher. Heute Mittag sage ich meinen Eltern Bescheid. Ich hoffe, sie können
mich verstehen. Gestern habe ich mit Hans Valentin telefoniert. Er hat die
meisten Hütten und Biwakschachteln in der Marmolata abgeklappert. Nichts, keine
Spur. Wahrscheinlich liegen wir daneben, interpretieren diese Hinweise falsch.
Wir haben nichts, gar
Weitere Kostenlose Bücher