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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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nichts. Keine gute Basis für einen Schlachtplan.«
    Sabine Mauracher sah Vincenzo nachdenklich an. »Ich verstehe, dass
die Situation für Sie eine Katastrophe ist. Aber sollen wir deshalb
stillhalten? Sein komisches Spiel mitspielen, das immer abartiger wird? Wir
sollten rausfinden, ob es Oberrautner ist, und alles daran setzen, Ihre
Freundin zu finden. Ein paar Dinge fallen einem schon ein, oder?«
    Vincenzo, der klassische Musik liebte, klopfte gedankenverloren mit
seinen Fingern den Radetzkymarsch auf der Glasplatte seines runden
Besprechungstisches. »Ich weiß durchaus, was Sie meinen. Wir sollten die
Psychiatrie observieren und seine Zelle durchsuchen, weil er die Codekarte
irgendwo versteckt haben müsste. Dasselbe hat Baroncini auch schon gesagt.«
    Mauracher nickte. »Auf diese Weise könnten wir Ihr Monster
ausschließen und uns auf Oberrautner konzentrieren. Wobei ich persönlich nicht
glaube, dass der was mit der Sache zu tun hat.«
    Marzoli, der die Etagere inzwischen vollständig zu sich herangezogen
hatte, schloss sich Maurachers Einschätzung teilweise an. »Sie kennen meine
Meinung, Commissario. Im Unterschied zu Signorina Mauracher tendiere ich jedoch
weiterhin zu Oberrautner. Oder wir haben es mit jemandem zu tun, den wir noch
nicht auf der Rechnung haben. Sollte es entgegen jeglicher Logik Ihr Monster
sein, mag eine Observierung für Gianna gefährlich sein. Machen wir es nicht,
ist es auch nicht besser. Sie sagen ja selbst: Er wartet darauf, dass Sie
Fehler machen.«
    Vincenzos Magen verkrampfte sich schmerzhaft bei Marzolis Worten.
Ihm war das Paradoxe an der Gefahr bewusst, aber er verdrängte es, weil er den
Gedanken, Gianna noch mehr zu gefährden, nicht ertragen konnte.
    Aber es half nichts, seine Kollegen hatten recht. Sie mussten zu
einer Entscheidung kommen.
    ***
    Trattoria »Da Piero«
    Antonia hatte Spaghetti alla Carbonara mit Südtiroler
Schinkenspeck gemacht. Ein simples Gericht, da sie heute mit vielen Gästen
rechneten und Vincenzos Mutter für das Essen ihres Sohnes nicht so viel Zeit
aufwenden konnte. Sonst wurde er nicht selten mit einem Mehr-Gänge-Menü
verwöhnt, bevor seine Eltern das Lokal öffneten.
    Aber auch mit Pasta konnte man Vincenzo sonst jederzeit glücklich
machen.
    Heute schmeckte ihm das Essen nicht, sein schlechtes Gewissen
verdarb ihm den Appetit. Ausgerechnet jetzt hatte Piero einen fabelhaften Wein
geöffnet. Was für eine Vorstellung, ihm diese Freude zunichtezumachen.
    »Das ist ein Lagrein Linticlarus Riserva von der Tiefenbrunner
Kellerei, Jahrgang 2009. Absolute Spitze, mein Junge, den musst du probieren.«
Piero schenkte großzügig ein, unter strenger Beobachtung seiner Frau, der es
nicht gefiel, dass zu italienischer Lebensart auch ein Gläschen Wein zum
Mittagessen gehörte. Tagsüber Alkohol war in ihren Augen ein Unding. Erst recht
für einen Commissario. Aber sie sagte schon lange nichts mehr, weil sie begriffen
hatte, dass es sinnlos war.
    Für Vincenzo war es immer wieder aufs Neue ein Vergnügen, seinen
Vater beim Verkosten eines Weines zu beobachten. Schlank, drahtig, im einem
seiner geliebten karierten Flanellhemden stand er kerzengerade neben dem Tisch,
schnupperte an seinem Glas, schwenkte es, beobachtete, wie der Wein ölig an den
Innenwänden des Glases herablief. Er nickte anerkennend, nahm endlich einen
kleinen Schluck in den Mund und schmeckte die Aromen mit schnellen
Zungenbewegungen und geschlossenen Augen. Piero strahlte pure Lebensfreude aus.
Mit einem leichten Stöhnen der Verzückung kommentierte er seine Neuanschaffung.
»Oh, ah, was für feine Aromen, ich tendiere zu Waldfrüchten.«
    Abermals schnupperte er, ohne die Augen zu öffnen. »Es sind eindeutig
Waldfrüchte, meraviglioso ! Wunderbares Säurespiel,
außerordentlich reife, feinkörnige Tannine. Was für eine Eleganz. Und dieser
Abgang …« Um sich zu vergewissern, dass er die gesamte Komplexität des Weines
erfasst hatte, ließ er sogleich einen zweiten Schluck folgen. Antonia schüttelte
demonstrativ den Kopf. »Dachte ich es mir! Waldfrüchte stimmt, das ist die
dominante Note. Aber er entfaltet zusätzlich einen Hauch von Kirsche.
Phantastisch. Was sagst du, Vincenzo?«
    Vincenzo hätte seinen Vater am liebsten fest an sich gedrückt. Er
hatte eine großartige Lebenseinstellung, wusste zu genießen, mit allen Sinnen.
Selten war er schlecht gelaunt, und wenn, dann ließ er es nicht an anderen aus.
Seine fast schwarzen Augen, die Vincenzo von ihm hatte, schienen

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