Eiszeit in Bozen
ständig zu
lachen. Seine Persönlichkeit, seine ansteckende Heiterkeit waren einer der
Gründe für den Erfolg der Trattoria. Sie hatten zahlreiche Stammgäste, die es
liebten, von Piero, der grundsätzlich jeden Gast duzte, fachkundig und höchst
unterhaltsam beraten zu werden. Seine Lebensfreude war ansteckend. Genau die
musste sein eigener Sohn ihm nun nehmen.
»Der Wein ist spitze, das, was ich euch jetzt zu sagen habe, leider
nicht.« Seine Eltern sahen ihn fragend an. Vincenzo erzählte ihnen, was er tun
musste und warum.
Das Lachen verschwand aus Pieros Augen.
»Er ist wahnsinnig. Wenn ich es nicht mache, wird er keine Sekunde
zögern, Gianna umzubringen. Versteht ihr das?«
Antonia war impulsiv. Selten dachte sie nach, bevor sie lospolterte.
»Drehst du jetzt völlig durch? Hat der Wein deine Hirnzellen schon alle
abgetötet? Danach können wir den Laden dichtmachen!«
Piero hob beschwichtigend die Hände. »Bitte, Antonia, carissima , reiß dich zusammen. Das ist die schwärzeste
Stunde im Leben unseres Sohnes. Wir müssen zusammenhalten. Wir können die Gäste
doch vorher informieren!« Piero war davon überzeugt, die Lösung gefunden zu
haben.
»Nein, Vater, der beobachtet euch. Vielleicht mischt er sich sogar
unter die Gäste. Er hat schon bei euch gegessen! Er ist clever. Ich darf kein
Risiko eingehen, und das heißt auch, dass ich keinen Polizeibeamten in Zivil
bei euch postieren kann. Lediglich in der Nähe der Trattoria werden sich drei,
vier Kollegen verteilen. Ich könnte euch ein Foto von den beiden möglichen
Tätern zeigen, aber sobald er merkt, dass ihr ihn anseht, weiß er Bescheid. Und
dann ist es aus, dann ist Gianna verloren. Davon abgesehen bin ich mir sicher,
dass er sein Äußeres hinreichend verändern würde.«
Antonias Wut wich einem Gefühl der Verzweiflung. Schwerfällig ließ
sie sich auf einen der schönen Holzstühle plumpsen. »Wie oft habe ich dir
gesagt, Vince, dass du dir einen anderen Beruf hättest aussuchen sollen. Du
bist andauernd in Schwierigkeiten. Letztes Jahr dieser brutale Killer, wenn ich
nur daran denke! ›Das Monster von Bozen‹, was für eine Schlagzeile. Jetzt hast
du schon wieder mit so was zu tun. Und wir werden mit reingezogen!«
Auch Piero setzte sich. »Antonia, eine Diskussion um Vincenzos
Berufswahl bringt uns nicht weiter. Dass der Junge gleich zweimal binnen eines
Jahres mit Abschaum konfrontiert wird, ist reiner Zufall. Wenn das vorbei ist,
kann er sich jahrelang um die Selbstmorde in den Dörfern kümmern.«
Es war unerträglich für Vincenzo, seine Eltern leiden zu sehen.
Erneut verspürte er einen unbändigen Hass auf den sadistischen Spielführer . Würde ihm dieser Oberrautner in diesem Moment
über den Weg laufen, würde er ihn massakrieren. »Das alles tut mir so leid, ich
kann es gar nicht in Worte fassen. Eines verspreche ich euch: Wenn es vorbei
ist, sorge ich höchstpersönlich dafür, dass Fasciani eine umfassende
Gegendarstellung schreibt, einen tollen Bericht über eure Trattoria. Überlegt
doch mal, in den nächsten Tagen bleiben vielleicht ein paar Gäste weg, aber
wenn ihr im Zusammenhang mit einem Serientäter positiv in die Schlagzeilen
geratet, rennen die Leute euch die Bude ein!«
Dieser beruhigende Gedanke war Vincenzo gerade erst gekommen bei
seinem verzweifelten Versuch, seine Eltern zu trösten. Zum Glück konnte er sie
überzeugen.
Antonias Augen hellten sich augenblicklich auf, Piero gönnte sich
ein zweites Glas Lagrein Linticlarus Riserva von der Tiefenbrunner Kellerei.
»Dann haben wir vielleicht sogar bald das Geld für den Anbau zusammen.«
16
Bozen, Donnerstag, 14. Oktober
Dottore Luciano Patricello, der Capo della Polizia, hatte
Baroncini mit deutlichen Worten in sein Büro bestellt. Der Polizeichef war in
der Questura gefürchtet. Er stammte aus Rom und war vor einigen Jahren nach
Bozen versetzt worden, weil er sich in der Hauptstadt mit seinem
patriarchalischen Führungsstil und gelegentlichen cholerischen Anfällen – vor
allem, wenn seine Behörde für Negativschlagzeilen sorgte – unbeliebt gemacht
hatte. Im beschaulichen, friedlichen Bozen gab es für den ansonsten fähigen Mann
zunächst viel weniger Anlass zu solchen Ausbrüchen. Als Patricello nach
Südtirol kam, hatte er kein Wort Deutsch gesprochen, er eignete sich diese
Sprache in weniger als einem halben Jahr an. Und seit den Serienmorden vor
einem Jahr, als die Anzahl der kritischen Schlagzeilen auch in Bozen
angestiegen war, kam der
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