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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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Skifahrer, auch abseits der
Pisten. Seine Frau vermutete, dass er Gletschertouren gemacht hatte. Und er
hatte tatsächlich ein Lieblingsgebiet, die Marmolata, wo er Skitouren,
Wanderungen oder Klettertouren machte. Von einem Rückzugsort wusste Frau
Oberrautner nichts. Alles in allem eine Bestätigung für Hans’ Vermutung.
Vincenzo spürte eine gewisse Erleichterung, seine Hoffnung wuchs, dass sein
Freund Gianna finden würde.
    Elisabeth Oberrautner versetzte seinem erwachenden Optimismus einen
Dämpfer. Als er sich mit einem Moleskin-Notizbuch des Romanautors in der Hand
verabschieden wollte, hielt sie ihn zurück. »Bitte nehmen Sie noch einen Moment
Platz, Commissario. Ich will Ihnen ein paar Dinge über Michael erzählen. Es
sind intime Details, die eigentlich nicht für fremde Ohren bestimmt sind, aber
Sie sollten das wissen. Es könnte Ihnen, mir und Ihrer Lebensgefährtin helfen.
Fangen wir mit diesen ominösen Briefen an. Das ist nicht Michaels Stil, in
keiner Weise. Weder sprachlich noch inhaltlich.«
    Signora Oberrautner erzählte, dass ihr Michael äußerlich ein Baum
von einem Mann sei, groß, kräftig, finsterer Gesichtsausdruck. In Wahrheit
jedoch sei er sanft wie ein Lamm. Sie begreife nicht, dass die Polizei ihr das
nicht abnehme. Er könne keiner Fliege etwas zuleide tun, jede Spinne fange er
und entlasse sie in die Freiheit, das Elend anderer Menschen setze ihm zu, bei
entsprechenden Berichten in den Medien kämen ihm die Tränen. Er besitze noch
einige Stofftiere aus seiner Kindheit, und wenn er sich unbeobachtet fühle,
schmuse er mit ihnen. Vielleicht liege das daran, weil sie keine Kinder
bekommen hätten, mit Sicherheit aber, weil er in vielerlei Hinsicht selbst ein
Kind sei. »Ich habe keine Ahnung, Commissario, woher Ihre Indizien stammen,
aber Sie müssen zugeben, dass Michael schlecht in Ihr Profil eines brutalen
Mörders passt. Wenn Sie ein Gefühl dafür entwickeln möchten, schauen Sie in
eines seiner Bücher. Derjenige, der sie geschrieben hat, ist nie ganz erwachsen
geworden. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
    Vincenzo beschlichen wieder Zweifel. Signora Oberrautner hatte
recht, vom Typ her passte dieser Mann nicht in das Profil eines eiskalten
Verbrechers. Das würde bedeuten, dass es einen Dritten geben musste, jemanden,
auf den sie bis jetzt nicht gekommen waren. Es gab jedoch niemanden in der
Kartei, der nach menschlichem Ermessen einen Grund hatte, sich an ihm oder der
Staatsgewalt auf diese Weise zu rächen. Es müsste sich um einen außer Kontrolle
geratenen Psychopathen handeln, der keinen persönlichen Bezug zu ihm oder dem
restlichen Polizeiapparat hatte. Der aber sehr viel – zu viel – wusste über
Commissario Bellini, seine Kollegen und seine Freundin.
    Was für irritierende Gedanken. Sie führten zu nichts. Wichtig war
allein die Konzentration auf die Fakten, und dazu zählte Oberrautners
Schriftprobe. Immerhin hatte Vincenzo in dieser schweren Zeit die Anteilnahme
und den Zusammenhalt seiner Kollegen. Jeder Einzelne von ihnen war jederzeit
bereit, eine Nachtschicht einzulegen oder ein Wochenende zu opfern.
    ***
    Via San Vigilio, 15.00 Uhr
    Marzoli lebte mit seiner Familie in einer großen Wohnung
im Bozener Stadtviertel Oberau-Haslach. Von dort aus war er schnell in der
Questura, die Schulen der Kinder lagen in der Nähe, und es war ruhig. Am
Wochenende konnte man herrliche Spaziergänge machen, die auch für Kinder
geeignet waren. Besonders gern wanderten sie über den Kastanienweg zur
Haselburg, eine Höhenburg aus dem 13. Jahrhundert, Namensgeberin des
Stadtviertels. In dem alten Gemäuer gab es ein Restaurant mit einer
verlockenden Speisekarte, einer beachtlichen Weinkarte und einer traumhaften
Aussicht über Bozen. Die Bahnlinie und der Fluss Eisack, die Oberau-Haslach vom
Rest Bozens trennten, hatten dafür gesorgt, dass das Stadtviertel einen
dörflichen Charakter behalten hatte.
    Vor neun Jahren waren Guiseppe und Barbara mit Noemi hierhergezogen,
um ihren gemeinsamen Lebenstraum zu gestalten: mindestens zwei Kinder, eine
schöne Wohnung, ein ausreichendes Einkommen. Der Traum hatte sich erfüllt. Nach
der Geburt von Noemi, die inzwischen schon sechzehn war, hatte es zunächst so
ausgesehen, als sollte es bei einem Kind bleiben. Aber fünf Jahre nach Noemis
Geburt wurde Barbara unerwartet wieder schwanger und brachte ihren einzigen
Sohn zur Welt, Filippo. Zwei Jahre später kam dann noch Nesthäkchen Elisa.
    Sie war das zarteste ihrer Kinder, ein

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