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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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liegenden
Hütte, hatte es geregnet. Morgen würde es noch mal aufreißen und ein bisschen
milder werden, aber am Sonntag ging es los. Dann würde der Wind auf
Nordnordwest drehen und weiter zunehmen bis auf Sturmstärke. Heftige Niederschläge.
Anfangs Regen bis gut zweitausend Meter, ein paar Stunden später würde es bis
auf unter tausendfünfhundert Meter hinunter schneien.
    Welche Optionen hatte er noch? Die wenigen Stunden nutzen und auf
Verdacht zum Adamellogletscher aufsteigen? Er hatte während seiner Tagesetappe
ununterbrochen nachgedacht. Seiner Ansicht nach schied der Ortler aus. Zu groß,
zu mächtig, zu wenig markante Punkte im Eis, an denen man sich orientierten
konnte. Um jemanden in so einer Umgebung zu verstecken, käme der Ortler nicht
in Frage. Der Adamello hingegen war gut geeignet. Einsame Hütten, viele Biwaks,
markante Eisformationen in den Randbereichen.
    Das war die letzte kleine Chance. Er sah auf die Uhr seines
Höhenmessers: gleich neun. Zu spät für den Abstieg. Er nahm sich vor, morgens
um fünf aufzubrechen, um abzusteigen nach Malga Ciapela, dem Skiort mit seiner
Gondelbahn auf die Punta Rocca. Im Hotel Roy würde er jemanden bitten, ihn zum
Lago di Fedaia zu fahren, wo er sein Auto abgestellt hatte. Er musste
schnellstens nach Pinzolo und weiter bis ans Ende des Val Genova, weil er von
dort aus den Gletscher am schnellsten erreichen konnte. Eine anstrengende
Fahrerei, zweihundert Kilometer, Pässe, Kurven, alles, was er in dieser
Situation gar nicht brauchen konnte. Es spielte keine Rolle, es ging um Gianna.
    ***
    Forensische Psychiatrie, 21.00 Uhr
    Nach Feierabend war sie nach Hause gefahren, um sich
umzuziehen. Schwarze Funktionswäsche, Hose, Pullover, Bergschuhe. Sie packte
ihren Rucksack mit allem, was für eine Bergtour notwendig war. Man konnte nie
wissen. Sie war sich bewusst, dass sie sich als Neuling kaum anmaßen konnte,
etwas von Polizeiarbeit zu verstehen. Doch es ging nicht um
Ermittlungsmethoden, sondern um ein Gefühl. Sie konnte sich partout nicht
vorstellen, dass ein Typ wie dieser Oberrautner zu solchen Taten fähig war.
Während Marzoli und Bellini – den sie total süß fand – unterwegs waren, hatte
sie sich heimlich die Akte des Monsters von Bozen besorgt. Dieser Typ war ein durchgeknallter Irrer. Hochintelligent, skrupellos,
eiskalt.
    Und die Bilder erst! Mann, was sah der scharf aus. Er war für Frauen
gefährlich, weil er sie tierisch anmachte. In seinen Augen lag ein Ausdruck, der
ihr einen Schauer über den Rücken jagte, obwohl es sich nur um ein Foto
handelte. So einen konnte sie sich als Giannas Entführer und Zabatinos Mörder
sehr gut vorstellen. Und er hatte ein klassisches Motiv: Rache. Alle Indizien
sprachen gegen Oberrautner, ihr Gefühl eindeutig für das Monster
von Bozen . Andererseits – es war unmöglich, dass jemand aus diesem
Hochsicherheitstrakt entkommen konnte. Trotzdem, man sollte nichts unversucht
lassen.
    Seit sechs Uhr beobachtete sie die alte Psychiatrie. Ihre Chefs
hatten leider von dem ursprünglichen Plan, das Gelände zu observieren, Abstand
genommen, weil für sie feststand, dass Oberrautner hinter den Taten steckte.
Dann musste sie das eben auf eigene Faust machen.
    Sie war fünfzehn gewesen, als ihr Opa einem heimtückischen
Raubüberfall zum Opfer gefallen war, der niemals aufgeklärt wurde. Sie hatte
ihn eigentlich mehr geliebt als ihre spießigen Eltern. Winnie, wie sie ihren
Opa nannte, war dagegen ein cooler Typ. Stammte aus Berlin, trug modische
Klamotten, hatte eine lässige Sprache, nicht so hochgestochen wie die meisten
in dem Alter, machte verrückte Sachen wie Bungeejumping und Freeriding, war
meistens gut drauf. Ein Optimist, dessen Glas stets halb voll war, warmherzig,
gutmütig. Winnie war ihr großes Vorbild gewesen. Nach dem brutalen Mord wusste
sie, dass sie zur Polizei gehen würde. Kapitalverbrechen sollten nicht
ungesühnt bleiben, es musste Gerechtigkeit geben, und sie wollte ihren Beitrag
dazu leisten.
    Inzwischen war es stockfinster. Es hatte ein bisschen genieselt,
jetzt war es wieder trocken. Und angenehm mild, nur der Wind war unangenehm.
Sie zog sich die Kapuze über.
    Bislang war nichts Auffälliges passiert. Absolute Stille. Sie hatte
den Eingang im Blick. Dummerweise war ihr Versteck, eine kleine Baumgruppe, an
die fünfzig Meter entfernt. Sollte jemand auftauchen, könnte sie ihn nicht
erkennen. Ihre Deckung konnte sie nicht verlassen. Immerhin war sie schnell an
ihrem Auto, falls es nötig

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