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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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war.
    Und dann würde sie ihm folgen, auch dann, wenn er zum Versteck
seiner Geisel in die Berge ging.
    ***
    Via San Vigilio, 21.15 Uhr
    Dutzende Male hatten sie bei Freundinnen angerufen,
Guiseppe Marzoli war Elisas Schulweg mehrfach abgegangen. Keine Spur von ihr.
Abends wurde die Fahndung intensiviert, doch sie blieb ergebnislos.
    Barbara wurde immer wieder von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt, so
sehr, dass sie kein Wort mehr herausbrachte. Guiseppe sah seine Frau, die in
der Sofaecke kauerte, eine Weile lang nachdenklich an, dann stand er auf. »Ich
gehe noch mal los!«, sagte er entschlossen. Er zog eine Winterjacke an, denn
der Wind war in den letzten Stunden immer stärker und kälter geworden.
    In diesem Moment klingelte es. Marzoli rannte zur Tür und riss sie auf.
    Vor ihm stand Elisa, freudestrahlend, ein wenig schuldbewusst, mit
einem großen weißen Stofftiger im Arm. Marzoli starrte seine Tochter einen
Moment lang an. Dann zerrte er sie über die Schwelle, zog sie an seinen
bulligen Körper, drückte sie fest an sich. Tränen der Erleichterung liefen ihm
über die Wangen.
    Er schob seine Tochter ins Wohnzimmer, wo Barbara einen Schrei
ausstieß. Tränenüberströmt nahm sie das Kind in den Arm, hielt es fest, wollte
es gar nicht mehr loslassen. Minutenlang brachten beide Eltern kein einziges
Wort, keine Frage heraus.
    Endlich stieß Barbara hervor: »Elisa! Was ist denn … Wo warst du …
Wir haben uns solche Sorgen …«
    Marzoli unterbrach seine Frau: »Elisa, du erzählst uns jetzt, was
passiert ist. Alles, hörst du?«
    Das Mädchen blickte von einem zum andern, sie schien unschlüssig,
was sie berichten sollte. »Nach der Schule war da so ein netter Mann …«
    Ihre Eltern sahen sich entsetzt an. Ein Alptraum. »Und weiter?«
    Nervös rutschte die Kleine auf dem Sessel hin und her, drückte das
Stofftier fest an sich. »Der Mann hat gesagt, dass die Mama ihn geschickt hat,
weil sie nicht zu Hause ist. Deshalb soll er auf mich aufpassen. Er hat gesagt,
ihr seid seine Freunde und ihr kennt euch schon seit der Schule und dass seine
Tochter so alt ist wie ich. Und weil die Mama nicht wissen konnte, dass die
Schule heute ausgefallen ist.«
    Barbara starrte ihre Tochter an. »Und das hast du ihm geglaubt? Wie
oft haben wir dir eingebläut, du sollst niemals, wirklich niemals mit einem
Fremden mitgehen! Elisa, du bist neun, du bist kein kleines Kind mehr! Warum
hast du nicht wenigstens angerufen?«
    Der brüske Tonfall ihrer Mutter verunsicherte Elisa, sie begann zu
weinen. Guiseppe nahm seine Tochter in den Arm. »Es ist alles in Ordnung,
erzähl einfach weiter. Was ist dann passiert?«
    Elisa berichtete, der Mann sei so freundlich gewesen, dass sie
keinerlei Zweifel an seinen Worten hatte. Er war mit ihr nach Meran gefahren.
Sie hatten Eis gegessen, später gab es eine Pizza, er hatte ihr das Stofftier
geschenkt. Sie standen vor einem Schaufenster, Elisa hatte sich gleich in den
weißen Tiger verliebt. »So einem süßen Mädchen wie dir kann man keinen Wunsch
abschlagen«, hatte er mit sanfter Stimme gesagt. Und zum Abschied hatte er ihr
sogar fünfzig Euro geschenkt, ein Vermögen für ein Kind dieses Alters. Als sie
über das Geld sprach, wirkte Elisa verunsichert, aber Barbara strich ihr beruhigend
über den Kopf. Das Kind konnte nichts dafür.
    Und jetzt war der Spuk zum Glück vorbei.
    Marzoli wollte unbedingt wissen, mit wem seine Tochter mitgegangen
war. Er zeigte Elisa auf seinem Laptop zwei Bilder. »War es einer von denen?«
Elisa nickte. »Welcher denn?« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Monitor.
»Der da war’s.« Genau damit hatte Marzoli gerechnet. Damit waren die letzten
Zweifel beseitigt.
    Sollte er Bellini zu Hause anrufen? Lieber nicht, sein Kollege war
fix und fertig gewesen, wahrscheinlich schlief er längst. Das hatte Zeit bis
morgen.
    ***
    Forensische Psychiatrie, 21.30 Uhr
    Sabine Mauracher kauerte noch immer hinter ihrem Baum.
Trotz ihrer Funktionskleidung fröstelte sie. Die Luft wurde feuchter.
Hoffentlich hatte sie sich nicht total verrannt und hockte hier bis zum
nächsten Morgen, ohne dass etwas passierte. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke,
ob sie ihrer Karriere durch diesen Alleingang nicht schadete. Sie hatte sich
eingeredet, dass es ihre Sache war, was sie nach Feierabend tat. Aber wenn sie
den smarten Commissario richtig einschätzte, würde er das möglicherweise ganz
anders sehen. Und gerade mit ihm wollte sie es sich nicht verscherzen.

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