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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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unbedingt eine Familie mit Kindern wollte. Doch
inzwischen war ihm der Beruf immer wichtiger geworden, sein Ehrgeiz grenzte an
Besessenheit. Und nun stand dieser Teil seines Lebens offenbar so sehr im
Vordergrund, dass er glatt ihr Leben dafür aufs Spiel setzte.
    »Ich kann Ihnen das Geld besorgen!«, wiederholte Gianna. »Nehmen Sie
mich mit nach unten, ich kann Ihnen doch nicht entkommen!«
    Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Sie sind meine einzige
Sicherheit. Ich wollte das Geld und einen Fluchtwagen, dann hätte ich Ihrem
Commissario gesagt, wo Sie sind. Er kennt sich in den Bergen aus und kann Sie
holen. Morgen starte ich einen letzten Versuch, vielleicht lenkt er noch
rechtzeitig ein. Ich habe Ihnen heute mehr Proviant mitgebracht. Falls Sie
morgen nicht gerettet werden, halten Sie damit einige Zeit durch. Vielleicht
wird der Sturm weniger schlimm, als der Wetterbericht sagt. Sorry, Gianna, ich
muss los. Viel Glück!« Er stand auf, leerte den Rucksack.
    »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?« Er nickte. »Wo genau bin ich
hier?«
    Er schien abzuwägen, ob diese Information ein Risiko für ihn
darstellte. »Warum nicht? Sie wissen wahrscheinlich, dass Sie sich im Inneren
eines Gletschers befinden. Das ist keine natürliche Höhle, sondern ein
ehemaliges Lager von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Ein perfektes Versteck,
praktisch nicht zu finden. Selbst wenn jemand davon weiß, man muss sich sehr gut
auskennen, um es zu entdecken. Vieles ist inzwischen verfallen, aber hier ist
noch einiges intakt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Gletscher stabil ist.
Deshalb sind Sie vorläufig sicher. So, ich muss los. Beten Sie für uns beide,
dass Ihr Freund sich noch besinnt.«
    Er war schon im Aufbruch begriffen, als er sich langsam umdrehte,
den Rucksack öffnete und eine Schere herausnahm. »Verzeihen Sie bitte, Gianna,
ich habe etwas Wichtiges vergessen. Bitte halten Sie einen Moment still.«
Schnell trat er auf Gianna zu, die mit weit aufgerissenen Augen regungslos
dastand, zog ihren Kopf zu sich heran und setzte die Schere an. Dann entfernte
er sich schnell durch den Gang, der in die Nachbarhöhle führte. Er ging auf den
Linksknick zu, war noch dreißig Meter von ihm entfernt …
    ***
    San Genesio, 12.15 Uhr
    Der Fabrikant Dazi lebte mit seiner Frau am oberen
Ortsrand von San Genesio. Das Bergdorf mit seinen zweitausend Einwohnern lag
auf elfhundert Metern am Südhang des Tschögglberges und war von Bozen aus über
eine kurvenreiche Bergstraße in zwanzig Minuten oder mit der Seilbahn
erreichbar. Eine traumhafte Lage. Auf dem gut zwei Hektar großen Grundstück
hatte Dazi sich einen riesigen Wohnturm errichtet, ganz hinten am höchsten
Punkt, zu dem eine asphaltierte, von Kastanien gesäumte Zufahrt führte. Vom
Turm aus hatte man einen spektakulären Ausblick auf Schlern und Rosengarten.
    In dem zweigeschossigen Turm wohnte das kinderlose Ehepaar Dazi
allein auf mehr als fünfhundert Quadratmetern, die sich auf lediglich vier
Zimmer und zwei Bäder verteilten. Es gab einen Innenpool, einen Außenpool, eine
Sauna und einen Fitnessbereich, der einem professionellen Studio zur Ehre
gereicht hätte. Die Sanitärbereiche waren mit Marmor aus Laas ausgestattet, in
den übrigen Räumen waren helle Chaletdielen verlegt. Im zweiten Obergeschoss
führte ein fünf Meter tiefer Balkon um das gesamte Gebäude. Das war Luxus pur,
ein wahres Traumhaus. Was hatte jemand, der so lebte, mit der alten Bozener
Psychiatrie zu tun?
    Sie wurden von der Dame des Hauses empfangen. Sofia Dazi war groß,
schlank, attraktiv, herrisch und abweisend. In ihren dunklen, wachen Augen war
deutlich zu lesen, was sie von einem Besuch der Polizei hielt. Besonders ihr
abschätziger Blick auf Mauracher, die leger wie immer gekleidet war, ließ keinen
Zweifel zu, dass sie diese Art von Auftritt für eine Polizistin als
unangemessen empfand. Sie verzichtete darauf, den ungebetenen Gästen Getränke
anzubieten.
    Im Laufe der Befragung wich ihre offenkundige Ablehnung einer
gewissen Unterwürfigkeit. Vincenzo, dem es nicht gelang, auch nur die
geringsten Sympathien für Sofia Dazi zu entwickeln, konfrontierte sie sofort
mit den Beobachtungen, die seine Kollegin am Abend zuvor gemacht hatte. Erst
setzte sich Signora Dazi schroff zur Wehr. »Was sollen diese Fragen? Was geht
es Sie an, wer wann mit einem unserer Autos wohin fährt?«
    Vincenzo lächelte sanft. »Signora, wie haben einen Mord aufzuklären.
Bedauerlicherweise ist in diesem

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