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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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vertrieb sie sich mit den Zeitschriften, die er ihr immer wieder
mitbrachte, und kleinen Spaziergängen durch das Eis. Diese Höhle war ihre Welt.
Eine stille, friedliche Welt. Wie schön es hier war. Mittendrin der klare See,
an dem sie gerade stand. Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches gesehen. Vincenzos
Auener Joch war nichts dagegen.
    Sie hörte das vertraute Hallen von Schritten im Eis. Langsam ging
sie zu ihrem Zelt zurück, als er schon aus dem Stollen trat. Dann stand er vor
ihr, sah sie durch die Schlitze seiner Sturmhaube an. »Eigentlich sollte es
morgen vorbei sein.«
    Sie hatte ein Gespür für seine Stimmungen entwickelt. Heute kam er
ihr bedrückt vor, er ließ die Schultern hängen. »Eigentlich?«
    »Ihre Familie spielt nicht mit. Ich weiß nicht mehr ein noch aus.«
    Sie wurde unruhig. »Was soll das heißen?«
    »Die Geldübergabe ist schon zweimal gescheitert. Das verstehe ich
nicht. Wollen die Sie denn nicht zurück? Eine so schöne, außergewöhnliche Frau
wie Sie, Gianna? Ich darf Sie doch Gianna nennen?«
    Seine Stimme strahlte keinerlei Bedrohung aus. Gianna fühlte sich
geschmeichelt. »Warum nicht? In gewisser Weise kennen wir uns schließlich
inzwischen. Wie soll ich Sie denn ansprechen?«
    Er schien nachzudenken. »Ich weiß nicht, ob das gut wäre. Obwohl ich
Sie gerne viel besser kennenlernen würde, Gianna, sollten Sie möglichst wenig
über mich wissen. Das wäre nur gefährlich für Sie. Aber es ist tragisch, dass
man Sie zu Hause scheinbar zu wenig wertschätzt. Insbesondere Ihr Freund ist
ein Quertreiber. Sie haben nicht zufällig Tee gekocht?«
    Verwirrt holte sie die Kanne aus ihrem Zelt. »Was meinen Sie mit
Quertreiber?«
    »Kommen Sie, setzen wir uns, ich habe heute ein bisschen Zeit. Ich
befürchte, dass Ihr Mann, Ihr geliebter Commissario, die Geldübergabe
verhindern will.«
    Sie sah ihn konsterniert an. »Was? Wollen Sie damit andeuten, dass
Vincenzo die Aufklärung des Falles wichtiger ist als ich? Er ist übrigens nicht
mein Mann.«
    Er nickte. »Das befürchte ich. Ihre Eltern haben signalisiert, dass
sie bereit sind zu zahlen, aber Ihr Freund verhindert das. Dabei will ich
unbedingt sein Einverständnis für die Übergabe, weil er mit Ihnen liiert ist.
Und nun haben wir ein Problem. Sehen Sie, morgen wird nämlich ein
infernalischer Schneesturm losbrechen. Ich habe heute schon damit gerechnet,
aber wir haben Glück. Für morgen früh hat das Wetteramt Bozen eine
Unwetterwarnung rausgegeben, höchste Stufe. Ein Wetterumschwung mit
Schneemassen, Sturm in Orkanstärke, Gewittern. Dann kann ich nicht mehr kommen
und auch niemand sonst. Ich glaube nicht, dass das vor dem Winter noch mal
wegtaut. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
    Gianna traute ihren Ohren nicht. Vincenzo kannte sich mit dem Wetter
in Südtirol aus. Er wusste, was diese Warnung bedeutete. Und da verhinderte er
angeblich die Geldübergabe? Das war unvorstellbar. »Vincenzo hat damit nichts
zu tun, da muss der Vice-Questore dahinterstecken. Lassen Sie mich mit meinem
Freund und meinen Eltern telefonieren, ich organisiere die Geldübergabe
selbst.«
    »Ich befürchte, das geht nicht. In dieser Eiswelt gibt es keinen
Handyempfang. Es würde auch nichts bringen. Wie es aussieht, haben Sie sich in
Ihrem Lebensgefährten getäuscht. Er hat mir mehrfach zu verstehen gegeben, dass
es keine Geldübergabe geben wird. Hat mir Statistiken heruntergebetet, wonach
seit mehr als zehn Jahren keine einzige Entführung mehr unaufgeklärt geblieben
ist. Ich solle aufgeben, Ihr Versteck preisgeben, das würde sich strafmindernd
auswirken. Was denkt der sich eigentlich? Ich mache das doch nicht zum Spaß!
Was glauben Sie, was ich alles hinter mir habe. Nichts hat funktioniert, und
das lag nicht an mir. Verfolgt haben die mich, gnadenlos, jahrelang.« Seine
Stimme überschlug sich fast, so aufgebracht war er.
    Befremdlich, was der Mann ihr erzählte. Das passte nicht zu
Vincenzo. Andererseits wirkte ihr Entführer aufrichtig. Warum sollte er ihr
auch Märchen auftischen? Es ging doch bloß um Geld. Sie wusste, dass sie ein
perfektes Opfer war, die Kanzlei ihrer Eltern ging oft genug wegen
spektakulärer Prozesse durch die Medien, es war bekannt, dass die Familie
vermögend war.
    Seit Vincenzo damals diesen Serienmörder gejagt hatte, war etwas mit
ihm geschehen. Er hatte sich verändert. Anfangs hatte sie ihn für einen
wohlbehütet aufgewachsenen, sensiblen Mann ohne besonderen Ehrgeiz gehalten,
der die Berge liebte und

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