Eiszeit in Bozen
stammen.
Vincenzo konnte sich nicht zurückhalten. Er deutete auf eines der
Geräte und fragte: »Signore, was, um Himmels willen, ist das?«
Albertazzi verlor seine Contenance. Er blaffte Vincenzo an.
»Strafbar jedenfalls nicht!«
Offenbar war der Grund, warum Albertazzi sich bis zuletzt gegen die
Schließung der alten Psychiatrie gesperrt hatte, keineswegs nur der letzte
Insasse, für den besondere Sicherheitsmaßnahmen nötig waren. Aber was die
beiden in ihrer Zelle trieben, war in der Tat ihre Privatangelegenheit. Es
hatte keinerlei Bedeutung für ihren Fall.
Eine Information schob Albertazzi ungefragt nach, die sich, auch
wenn sie wohl eher als Ablenkung gedacht war, als das wichtigste Ergebnis der
Befragung erwies. Wenn er mit Sofia Dazi verabredet war, kam er stets etwas
früher in die Psychiatrie, »um die Zelle vorzubereiten«. Wenn danach noch Zeit
blieb, begab er sich, seit er von dem erneuten Verdacht gegen seinen Patienten
wusste, immer zur Zelle des Monsters , um dessen Anwesenheit
zu prüfen. »Es ist meine Bürgerpflicht, Commissario, die Staatsorgane nach
Kräften zu unterstützen, sei ihr Ansinnen auch noch so abwegig! Nachdem Sie
mich gebeten hatten, nach ihm zu schauen, habe ich mir vorgenommen, das ab
sofort regelmäßig zu machen, auch außerhalb der Essenszeiten. Ich habe meine
Schuhe aus- und dicke Socken angezogen, damit er mich auf keinen Fall hören
kann. Aber er war selbstverständlich jedes Mal in seiner Zelle. Diese Spur
können Sie vergessen. Ich wollte Sie ohnehin heute anrufen, um Ihnen davon zu
berichten.«
Vincenzo nickte. Einer Intuition folgend, stellte er eine letzte
Frage. »Sagt Ihnen der Name Michael Oberrautner etwas?«
Albertazzi war dankbar für den Themenwechsel und schob die
Polizisten nachdrücklich aus seiner Sadomaso-Zelle. Hastig schloss er ab. »An
den kann ich mich dunkel erinnern. Komischer Kauz, war kurzzeitig bei Zabatino
in Behandlung. Seine Erscheinung passte überhaupt nicht zu seiner
Persönlichkeit. Er litt unter Verfolgungswahn. Kein spektakulärer Fall. Meines
Erachtens eigentlich kein Schwerkrimineller, sondern ein harmloser Spinner,
dessen Persönlichkeitsentwicklung irgendwann stehen geblieben ist. Warum fragen
Sie das?«
Ohne Albertazzis Frage zu beantworten, sagte Vincenzo nur: »Danke
für das Gespräch, Sie haben uns sehr geholfen.«
Desillusioniert fuhren sie in die Questura zurück. Mit der Suche
nach Gianna waren sie nicht einen Schritt weitergekommen. Trotz der
Einschätzung des Psychiaters wiesen alle Indizien auf Oberrautner als Mörder
und Entführer hin, das Monster war nun wohl endgültig
aus dem Spiel. Und sollte Hans nicht bald Vollzug melden, mussten sie eine
absurde Polizeiaktion in dem Lokal in den Bozener Lauben durchziehen.
Der Besuch in der Psychiatrie hatte alle betroffen gemacht. Hinter
wie vielen gutbürgerlichen Fassaden sich wohl solche Abgründe auftaten wie bei
Albertazzi? Nur Mauracher sah sich kopfschüttelnd zu einem Kommentar in der
Lage. »Voll krass! Der gehört selbst in die Klapse. Mann, was turnt das ab!«
Um fünfzehn Uhr fünf rief Vincenzo von seinem Büro aus den
ausführlichen Alpinwetterbericht ab. Nur Minuten zuvor hatte sich der Gutachter
gemeldet und mitgeteilt, dass der Handschriftenvergleich der Briefe mit dem
Notizbuch eine Übereinstimmung von neunundachtzig Prozent ergeben habe. Einmal
mehr Oberrautner. Erwartungsgemäß. Doch was nützte diese Erkenntnis? Nichts.
»Eine markante Luftmassengrenze, die quer
über Deutschland verläuft, trennt die feuchtwarme Luft im Süden von polaren
Luftmassen im Norden. Sie überquert bis morgen Abend den Alpenhauptkamm
südwärts. Ausgehend von einem umfangreichen, ortsfesten Zentraltief über
Skandinavien, folgen weitere intensive Frontensysteme nach, die den Zustrom
hochreichender Kaltluft verstärken. Die Aussichten: Bis zum Abend recht freundlich,
dabei auflebender Süd- bis Südostwind, allmählich nach Südwest drehend. Nachts
Bewölkungszunahme, bis zum Morgen bleibt es jedoch trocken. Tiefstwerte im
Unterland bei fünfzehn Grad, selbst im Pustertal kaum unter zehn Grad, auf den
Höhen zum Teil noch milder. Morgen nach freundlichem Tagesbeginn ab Mittag
Eintrübung und von Nordwest nach Südost einsetzende starke Dauerniederschläge,
die mit einem markanten Temperatursturz in allen Höhen einhergehen. Der Wind
dreht auf Nordnordwest und frischt stark auf, mit Sturmböen in den tiefen
Lagen. Auf den Bergen zunehmend Orkanböen mit der Gefahr von
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