Eiszeit
zu bedrücken, solange noch etwas Hoffnung besteht.«
»Wir drücken ihnen die Daumen«, sagte der Mann in Thule. »In den Staaten berichten die Nachrichten bereits darüber. Millionen von Leuten drücken ihnen die Daumen.«
15:05
Das Kommunikationszentrum der Ilja Pogodin war voller Licht und Bewegung, als die dechiffrierten Nachrichten, die der Überwachungsballon dreißig Meter über ihnen aufgefangen hatte, über sieben leuchtende Monitore flimmerten. Auf den Computerkonsolen funkelten sämtliche Primärfarben. Zwei Techniker arbeiteten am einen Ende des engen Raums, und Timoschenko stand mit Nikita Gorow neben der Tür.
Unter den Hunderten von Mitteilungen, die ständig von den Computern der Ilja Pogodin sortiert und gespeichert wurden, bezog ein ständiger Datenstrom sich auf die Edgeway-Krise. Der Computer war dahingehend programmiert worden, eine besondere Datei für alle abgefangenen Meldungen anzulegen, die eins oder mehrere von fünf Schlüsselwörtern enthielten: Carpenter, Larsson, Edgeway, Melville, Liberty.
»Ist das vollständig?« fragte Gorow, als er das Edgeway-Material gelesen hatte.
Timoschenko nickte. »Der Computer druckt jede Viertelstunde ein ergänztes Update aus. Das hier ist erst zehn Minuten alt. Es könnte also noch ein paar neue Entwicklungen gegeben haben. Aber die grundlegenden Fakten kennen Sie nun, Herr Kapitän.«
»Wenn das Wetter auf der Oberfläche nur halb so schlecht ist, wie sie behaupten, wird die Liberty ebenfalls umkehren.«
Timoschenko pflichtete ihm bei.
Gorow starrte den Ausdruck an, las ihn nicht mehr, sah ihn nicht einmal mehr. Hinter seinen nachtschwarzen Augen war das Bild eines kleinen, blonden Jungen mit rosigem Gesicht und offenen Armen. Der Sohn, den er nicht hatte retten können.
»Ich bin bis auf weiteres im Kontrollraum«, sagte er schließlich. »Informieren Sie mich sofort, wenn es in dieser Sache eine wichtige Neuigkeit gibt.«
»Jawohl, Herr Kapitän.«
Da die Pogodin keine Fahrt machte, sondern bewegungslos verharrte, bestand die Wache in der Zentrale — abgesehen vom Ersten Offizier Schukow — nur aus fünf Mann. Drei saßen in den schwarzen Kommandostühlen und betrachteten die Wand mit den Bildschirmen, Meßinstrumenten, graphischen Darstellungen, Schaltern und Kontrollen gegenüber der Tauchstation. Schukow saß auf einem Metallstuhl in der Mitte des Raums und las einen Roman, den er auf den großen elektronischen Kartentisch gelegt hatte.
Emil Schukow war der einzige mögliche Widersacher, mit dem Gorow sich eventuell befassen mußte, wenn er den Plan, den er auszuarbeiten begonnen hatte, tatsächlich ausführen wollte. Schukow war der einzige an Bord des U-Bootes, der die Befugnis hatte, den Kapitän seines Postens zu entheben, wenn dieser nach Schukows Ansicht den Verstand verloren hatte oder einen direkten Befehl vom Marineministerium nicht befolgte. Der Erste Offizier würde seine Macht nur im äußersten Notfall ausspielen, denn wenn er nach Rußland zurückgekehrt war, würde er die Übernahme des Kommandos rechtfertigen müssen; dennoch stellte er eine echte Bedrohung dar.
Mit zweiundvierzig Jahren war Emil Schukow nicht viel jünger als sein Kapitän, doch ihre Beziehung erinnerte mitunter ein wenig an die zwischen Schüler und Mentor, hauptsächlich, weil Schukow einen so großen Wert auf soziale Rangfolge und Disziplin legte, daß sein Respekt vor der Autorität sich mitunter schon ungesunder Ehrfurcht näherte. Er hätte jeden Kapitän als Mentor und eine Quelle der Weisheit angesehen. Groß, schlank, mit einem langen, schmalen Gesicht, eindringlichen haselnußbraunen Augen und dichtem, dunklem Haar erinnerte der Erste Offizier Gorow an einen Wolf; er bewegte sich mit animalischer Anmut, und sein direkter Blick wirkte manchmal raubtierhaft. Im Grunde war Schukow weder so beeindruckend noch so gefährlich, wie es den Anschein hatte; er war lediglich ein guter Mann und ein zuverlässiger, wenn auch nicht brillanter Offizier. Normalerweise würde die Ehrerbietung für seinen Kapitän seine treue Mitarbeit gewährleisten — aber unter extremen Umständen konnte man seinen Gehorsam nicht als selbstverständlich annehmen. Emil Schukow würde nie den Umstand ignorieren, daß es viele Männer mit höherer Autorität als Gorow gab — und daß er ihnen größeren Respekt und größere Treue schuldig war als seinem Kapitän.
Gorow ging an den Kartentisch und legte den Ausdruck mit dem Edgeway-Material auf den Roman, den
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