Ekel / Leichensache Kollbeck
einer Vergiftung des Körpers, weil das in die Brandwunden in großen Mengen strömende Plasma, das allein schon zu einer lebensgefährlichen Bluteindickung führen kann, nach einiger Zeit in den Körper zurückfließt und die durch Infektion und Eiweißzerstörung entstandenen Giftstoffe mit sich führt. Der Tod tritt dann mitunter erst nach zehn bis zwölf Tagen ein
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Anmerkung:
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Zu DDR-Zeiten war eine kriminologische Auswertung der durch das MfS streng geheimgehaltenen „Todesermittlungssache Brüsewitz“ aus Gründen der politischen Brisanz nicht möglich. Erst nach der Wende öffneten sich die Tresortüren, und Helmut Müller-Enbergs sowie Mitarbeiter konnten den Report „Das Fanal“ herausgeben. Auch Thomas Frickels Dokumentarfilm „Der Störenfried“ wurde vorgestellt. Der vorliegende Bericht über die Selbstverbrennung Brüsewitz’ basiert jedoch hauptsächlich auf Konsultationen mit seinerzeit verantwortlichen Kriminalisten und auf der von Harald Schultze herausgegebenen Dokumentation „Das Signal von Zeitz“, die auch die von Martin Onnasch verfaßte einfühlsame Biographie des Pfarrers Brüsewitz enthält
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Presse, Rundfunk und Fernsehen des Westens zollten der Selbstverbrennung Brüsewitz’ am 18. August 1976 ein enormes Ausmaß an Aufmerksamkeit. Doch als sich ein knappes Jahr später in der DDR wiederum ein protestantischer Geistlicher (Pfarrer Günther aus Falkenberg, nahe Torgau) verbrannte, war nur ein schwaches Medienecho zu vernehmen
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Verfügungen einer alten Dame
Berlin, am Montagvormittag, den 3. Mai 1965, Abteilung K der VP-Inspektion Mitte, Keibelstraße.
Kriminalmeister Gregorius, 28, ein mittelgroßer Blondkopf mit strengem Linksscheitel, aber freundlichem Gesicht, tippt auf einer uralten, vermutlich bereits seit der Nazizeit in polizeilichen Diensten stehenden Mercedes-Schreibmaschine die letzten Zeilen eines Abschlußberichts über den schrecklichen Unfall auf dem Kinderspielplatz im Monbijoupark, wo sich am Kletterseil des Spielgerüstes ein 6jähriger Junge zu Tode stranguliert hatte.
Gregorius beeilt sich. Der Vorgang muß zum Staatsanwalt. Und ab Mittag ist er für eine stabsmäßig geführte Observation auf der Fahrroute der Doppelstockbusse A 9 und A 57 eingeteilt: Seit Monaten treibt nämlich ein Taschendieb zwischen den Stationen Alexanderplatz und Friedrichstraße sein Unwesen. Mit der bühnenreifen Virtuosität eines Trickkünstlers, doch höchst unmoralisch und ungesetzlich, bedient er sich der mehr oder minder prall gefüllten Geldbörsen ahnungsloser Fahrgäste. Dieses Brennpunktverursachers, wie Serientäter bezeichnet werden, kann man nur habhaft werden, wenn er auf frischer Tat gestellt wird.
Als Gregorius sein Zimmer verlassen will, erscheint sein Vorgesetzter, Oberleutnant Schieler, ein hagerer 50jähriger mit auffallend großen Ohren und langer Nase:
„Ich hab ’n Einsatz für dich, vermutlich Suizid in der Wohnung!“
„Und die Observation?“ zögert Gregorius.
„Nichts da, ich kläre das!“ räumt Schieler die Bedenken aus. „Du machst die Leichensache. Übrigens, du kannst zu Fuß hingehen, es ist gleich schräg gegenüber, Keibelstraße 1. Die Dame heißt Lisbeth Weber. Der Arzt war da, hat uns informiert. Schutzpolizei ist vor Ort. Der Bruder, der sie gefunden hat, auch.“
„Alles klar, ich mach mich gleich los!“ reagiert Gregorius beflissen. „Doch sei so nett und ruf beim Bestattungswesen an. Ich denke, in zwei Stunden können sie kommen!“ Noch ehe er verschwindet, übergibt er seinem Chef die Akte über den Unfalltod des kleinen Jungen im Monbijoupark.
Das Haus Keibelstraße 1 ist ein mehrgeschossiger, ziemlich morbider Altbau an der Ecke Alte Schützenstraße, direkt im Schatten des Polizeipräsidiums. Es hat den Zweiten Weltkrieg leidlich überstanden. Die abgerissenen Balkone und unzähligen Einschüsse im Mauerwerk erinnern noch immer an die unerbittlichen Straßenkämpfe der letzten Kriegstage. Doch das Nationale Aufbauwerk in der DDR scheint eine Sanierung solcher Bauten, an denen es vor allem in den Stadtbezirken Mitte und Prenzlauer Berg wahrlich nicht mangelt, niemals in Betracht zu ziehen. Statt dessen plant man, den Alexanderplatz zu einer Fußgängerzone umzugestalten und die kreuzenden Straßenbahnen herauszulösen. Das soll im nächsten Jahr beginnen.
Auf dem Treppenabsatz zur 2. Etage lümmelt gelangweilt ein uniformierter Gesetzeshüter. Zunächst scheint er von Gregorius keine Notiz zu nehmen. Erst als
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