Ekel / Leichensache Kollbeck
80er Jahren bei der Untersuchung von Eisenbahnsuiziden heraus, daß jeder dritte bis vierte Zugführer mit suizidalen Überfahrungen konfrontiert wird. In nicht wenigen Fällen löst dies bei den Betroffenen zum Teil schwere, manchmal sogar längerfristige Störungen der Erlebnisverarbeitung aus. Die Gefährlichkeit psychischer Erschütterungen liegt vor allem darin, daß sich das Trauma hinter der Maske scheinbarer Gleichgültigkeit gegenüber dem Erlebnis erst nach Stunden oder Tagen offenbaren kann. Sowohl die Gefühlssphäre, das Denken und das Leistungsvermögen als auch vegetative Funktionen (z. B. Herz-Kreislauf, Verdauungsorgane) können dann ernsthaft gestört werden. Intensive psychotherapeutische Maßnahmen sind unausweichlich
.
Es dauert nicht mehr lange und jede Menge höchst offizieller Leute erscheinen: Vertreter des Dispatcherdienstes, technisches Eisenbahnpersonal, Transportpolizei. Dann geht alles ziemlich schnell. Wagner und sein Beimann werden über ihre Wahrnehmungen befragt. Unterdessen besichtigen die Polizisten den Leichnam des Mannes. Vorsichtig von der Schiene bugsiert wird er dann am Rande der Gleisanlage, mit einer Plane zugedeckt. Jetzt kann Wagners Beimann die Lok wieder ankoppeln. Und kurz vor 8.00 Uhr setzt der Zug Ce 46022 seine Fahrt in Richtung Berlin fort.
Die Polizisten durchsuchen die Taschen des Toten. Doch das erfordert gehörige Überwindung. Auf der Körpervorderseite ist der Anzug ziemlich blutdurchtränkt. Mit spitzen Fingern tasten sie die Taschen ab. Vielleicht ist etwas zu finden, womit der Mann identifiziert werden kann. Vergeblich, kein Ausweis, kein Notizbuch in den Taschen, nur ein kleines Lederetui in der Gesäßtasche und darin ein kleines Schlüsselbund mit einem Autoschlüssel darunter.
Als eine halbe Stunde später die Oberärztin des Gerichtsmedizinischen Instituts Magdeburg den Leichnam vor Ort untersucht, fördert sie aus der Innentasche der Jacke die blutdurchtränkten Fahrzeugpapiere zutage: Fahrerlaubnis, Zulassung und Berechtigungsschein. Jetzt sind die Personalien des Toten bekannt: Arno Beskow. Die Zeugenaussagen des Zugpersonals, die Auffindungssituation und das Ergebnis der gerichtsärztlichen Leichenschau lassen eine überzeugende Begründung für eine Selbsttötung zu. Um aber ganz sicher zu gehen, schlägt die Gerichtsärztin dennoch eine Obduktion vor.
Als Frau Beskow gegen 6.00 Uhr durch das Piepsen des elektronischen Weckers munter wird, ist das Bett neben ihr leer. Zunächst vermutet sie, ihr Mann sei bereits aufgestanden. Doch im ganzen Haus herrscht Stille. Sie steht auf und geht zum Bad. Aber dort ist ihr Mann nicht. Sie ruft seinen Namen – vergebens. Jetzt wird sie unruhig, sucht in jedem Raum der oberen Etage. Wieder nichts. Sie geht nach unten. Im Wohnzimmer brennt Licht, doch keine Spur vom Gatten. Auch in den Kellerräumen schaut sie nach. Das Auto ist nicht mehr in der Garage. Sie schlußfolgert richtig, daß er weggefahren sein muß. Irgendwie versteht sie sein Verhalten nicht, eilt nach oben ins Wohnzimmer. Jetzt erst entdeckt sie Schriftstücke auf dem Tisch, die ihr Mann dort abgelegt haben muß: Geschäftliche Verfügungen, Versicherungspolicen, ein Testament und ein Abschiedsbrief. Frau Beskow fühlt sich wie gelähmt. In ihrer Verzweiflung ruft sie die Tochter an. Und gegen 9.00 Uhr ist diese bei ihr.
Bald darauf erscheint die Polizei mit der erschütternden Mitteilung. Damit ist jede noch bestehende Hoffnung, daß Arno Beskow die Selbsttötungsabsicht vielleicht doch nicht verwirklichen könnte, endgültig vernichtet.
Noch am gleichen Tag entdeckt eine Polizeistreife in der Nähe der Ortschaft Möser auf dem Seitenstreifen der Landstraße Beskows abgestellten „Lada“.
Die nichtnatürlichen Todesfälle auf dem Gleiskörper sind zumeist Unfälle. Unaufmerksamkeit und Mängel an technischem Gerät bei Bahnwartungs- und Rangierarbeiten, unbefugter Aufenthalt auf dem Bahngelände, leichfertiges Auf- und Abspringen bei in Fahrt befindlichen Zügen, Sturz durch geöffnete Türen während der Fahrt, sog. S-Bahn- und Eisenbahnsurfen bilden – meist im Zusammenhang mit alkoholischer Beeinflussung – die Hauptursachen
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Etwa ein Drittel der Todesfälle sind Suizide. Diese harte Begehungsweise wird von Männern bevorzugt. Der Anteil der Frauen liegt unter einem Drittel. Das Altersspektrum reicht von 14 bis 75 Jahre (und älter), verdichtet sich allerdings beträchtlich bei den 20- bis 60jährigen. Tatorte sind in der Regel
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