Ekel / Leichensache Kollbeck
„nehmen Sie draußen solange Platz!“
Eine lange halbe Stunde sitzt Eichelberg auf der Wartebank vor dem Zimmer des Kriminaldienstes, ganz seinem Schicksal ergeben. Dann erscheint der Beamte wieder und bittet ihn ins Büro: „Wir werden Sie nicht hierbehalten, seien Sie froh, nicht bei uns registriert zu sein!“
Dr. Eichelberg fällt ein schwerer Stein vom Herzen: Nun ist es sicher, er ist nicht verhaftet!
„Doch wir müssen ein Ermittlungsverfahren gegen Sie einleiten: Verstoß gegen den § 124 StGB, Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit“, gibt der Kriminalist zu bedenken.
„Sie werden vorgeladen. Ihre Sache wird im Kommissariat 3 von einem Spezialisten untersucht!“
„Und … was … ich meine, wie wird das denn bestraft?“ stottert Dr. Eichelberg ängstlich.
„Das entscheidet das Gericht. Im allgemeinen bewegt sich der Strafrahmen von einer Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug“, erklärt der Kriminalbeamte, „aber nun fahren Sie erst mal nach Hause, schlafen sich aus und warten das Wochenende ab.“
Schon am Montagmorgen, als er seinen kleinen Sohn zur Kinderkrippe bringen will, findet Dr. Eichelberg die Vorladung für Dienstag 9.00 Uhr, VPI Mitte, Zimmer 4212, im Postkasten. Noch kann er den höchst unangenehmen Vorfall verheimlichen, denn am Dienstag hat er Spätdienst. So umgeht er die Peinlichkeit, den Dienst zu tauschen. Auch seine Frau, die als Chemikerin im Chemischen Institut der Humboldt-Universität arbeitet, ist um diese Zeit längst in ihrem Labor und widmet sich ahnungslos ihren Reagenzien. Die Ereignisse haben seine Seele aufgewühlt. Er kann sich diese Episode nicht verzeihen, fühlt sich minderwertig und von Selbsthaß erfüllt. Dazu gesellt sich die quälende Ungewißtheit, welche rechtlichen Konsequenzen ihn erwarten und wie seine Frau und die Kollegen darüber urteilen werden. Doch er hat sich vorgenommen, gegenüber der Polizei ehrlich zu sein.
Am Dienstag, kurz vor 9.00 Uhr, klopft er zaghaft an die Tür mit der Zimmernummer 4212. Ein hochaufgeschossener, sportlicher Typ mit schwarzem Haar und randloser Brille empfängt ihn: „Oberleutnant Baumgartner!“
Eichelberg vermutet richtig, daß dieser Mann in seinem Alter sein müßte. Der Kriminalist kommt gleich zur Sache: Es liegt die Anzeige der Friseuse Lilo Hirsemann wegen der Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit vor. Des weiteren ein Befragungsprotokoll des Kriminaldienstes von Freitagnacht. Nunmehr werde er als Beschuldigter vernommen.
Ausführlich schildert Eichelberg den Tagesverlauf des vorigen Freitags: Früh Stationsdienst, nachmittags bei einer Facharztprüfung anwesend, abends in der Nationalitätengaststätte „Kalinka“ im Haus der DSF eine kleine Feier. Nur einige Glas Wein habe er getrunken. Ein wenig beschwipst war er schon, aber ansonsten gut beieinander. Baumgartner fragt nach Einzelheiten des Geschehens in der S-Bahn. Doch Eichelberg kann sich nur wiederholen: Totale Übermacht eines Zwangs, den er nicht zu erklären vermag. Zutiefst bedauere er den Vorfall, wolle sich bei der Geschädigten entschuldigen. Diese Blamage: Die Ehefrau, die Kollegen, seine Position als Stationsarzt! Das muß er erst verdauen. Nun habe er Angst vor den Folgen.
Baumgartner will mehr über die Ehe wissen, dringt dabei in die tiefsten Winkel ehelichen Zusammenlebens vor. Doch Dr. Eichelberg hält seine Ehe in jeder Hinsicht für harmonisch. Keine Besonderheiten, keine Probleme. Auf die Frage nach der eigenen Sexualität in den Jahren vor der Ehe aber, fühlt er sich dem Kriminalisten verpflichtet, ein Geheimnis zu offenbaren, daß er bisher viele Jahre still behütete: Mit 17 oder 18 Jahren habe er erstmals dem unwiderstehlichen Drang nachgegeben, sich vor fremden Frauen zu entblößen. Es seien schreckliche Erlebnisse gewesen, die ihn immer schon belastet hätten, aber er sei glücklicherweise nie erwischt worden, er wisse nicht einmal, ob die Frauen überhaupt Anzeige erstattet hätten. Er habe sich dann in ärztliche Behandlung begeben und einige Monate lang das Medikament „Androcur“ eingenommen. Danach hielt er sich für geheilt. Während seiner Armeezeit, in der er im Kreise seiner Kameraden öfters Alkohol zu sich nahm, habe er zwar kurzzeitig wieder unter diesem Triebdruck gelitten, doch nach einer weiteren, von seiner Umgebung nicht bemerkten Behandlung mit „Androcur“, sei eine restlose Heilung erfolgt. Während seines Medizinstudiums lernte er seine spätere Gattin
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