Ekel / Leichensache Kollbeck
gleichmäßigen, wuchtigen Schüben spült das Meer seine Ausläufer meterweit über den flachen, sandigen Strand, um sie nach wenigen Sekunden wieder zurückzuziehen.
Oberhalb des Strandes schreiten zwei Männer in Marineuniform gemächlich über den Trampelpfad an der Steilküste. Über ihren Schultern hängen Maschinenpistolen: Obermatrose Steingräber und Matrose Wilke befinden sich auf Streifengang. Ihr Weg führt am Anwesen des Fischers Knobloch vorbei, der gerade in einem Nebengebäude mit dem Räuchern seines letzten Fangs beschäftigt ist. Wortlos begrüßen sich die Männer aus der Entfernung. Das Haus des Fischers ist das letzte zivile Gebäude auf dem Wege. Gelangweilt ziehen die beiden Matrosen ihre vorgeschriebene Bahn.
Plötzlich, mehrere hundert Meter hinter dem Anwesen des Fischers, fällt dem Matrosen Wilke in der Brandung ein undefinierbarer Gegenstand auf: „Du, da schwimmt was! Sieht aus wie’n totes Vieh!“
Der Obermatrose Steingräber benutzt sein Fernglas. Doch er kann auch damit den Gegenstand nicht deutlich erkennen: „Könnte sein“, bestätigt er den Verdacht seines Genossen, „ich glaube, es hat Beine.“
Neugierig klettern die Matrosen den Steilhang hinunter. Sie wollen wissen, was da von der Brandung hin und her bewegt wird. Mal taucht das merkwürdige Objekt unter, mal ist es teilweise sichtbar: Es ist eine längliche, dunkelgraue, mit schmutzigem Weiß durchsetzte Masse, etwa anderthalb Meter lang.
Als die beiden am Ufer stehen, blickt Obermatrose Steingräber nochmals durch den Feldstecher auf den treibenden Gegenstand. Augenblicke später hat er Gewißheit. Fassungslos teilt er Wilke mit: „Du, das is’ne Leiche!“
„Zeig mal!“ fordert dieser und grapscht nach dem Fernglas. Nun erkennt auch er, daß die längliche Masse aus einem Leib, Kopf und Gliedmaßen besteht. Doch das ist alles, was an einen menschlichen Körper erinnert. Angewidert gibt er Steingräber den Feldstecher zurück und fragt unsicher: „Und nun, was machen wir jetzt?“
„Bleib hier!“ fordert Steingräber. „Ich gehe zurück zum Fischer. Vielleicht hilft er, die Leiche an Land zu ziehen!“
Es dauert nur wenige Minuten. Schon kommt der Fischer Knobloch auf seiner „Schwalbe“, einem kleinen Motorroller des VEB Simson Suhl, angeknattert, den Obermatrosen auf dem Soziussitz. Er hat vorsichtshalber ein Paar hüfthohe Gummistiefel mitgebracht. Mit einem Blick erfaßt er die Situation. Er findet in der Nähe ein etwa zwei Meter langes, leicht angefaultes Brett, das irgendwann einmal an Land gespült wurde, streift sich die Stiefel über, ergreift das Holz und watet unverzüglich in die Brandung. Bis zu dem toten Körper ist es nur ein Weg von knapp zwanzig Metern. Hier reicht ihm das Wasser bis zu den Knien. Beherzt erfaßt der Fischer den Körper des Toten und bugsiert ihn längs auf das Brett. Vorsichtig hebt er es an einem Ende an, bis der Leichnam darauf in Schräglage kommt. Kraftvoll zieht der Fischer den seltsamen Schlitten über den Sand, bis er eine Uferstelle außerhalb der Wellenausläufer erreicht. Nun präsentiert sich den drei Männern das schaurige Bild einer Wasserleiche, die augenscheinlich schon längere Zeit im Meerwasser getrieben ist: Ein fast vollständig entkleideter Körper liegt bäuchlings im Sand. An ihm hängen nur noch einige verfaulte textile Fetzen, deren ursprüngliche Farben nicht mehr auszumachen sind. Am rechten Handgelenk ist eine Uhr zu erkennen, vom Meerwasser arg in Mitleidenschaft gezogen. Das Zifferblatt allerdings ist gut erkennbar: Ein Schweizer Fabrikat. Es eignet sich zur Identifizierung. Das Lederarmband indes ist schmutzig dunkel verfärbt und hat sich tief in das aufgeschwemmte Hautgewebe eingegraben. Fäulnisvorgänge und eine schmierige, wachsartige grauweiße Masse, die sich bei der Zersetzung von Fettgewebe bilden kann und die der Fachmann Fettwachs nennt, haben den Körper verunstaltet, verwischen seine ursprünglichen Konturen. Der Schädel, wie überhaupt der ganze Körper, ist ohne Haare. Die Kopfhaut ist nahezu abgelöst und gallertartig aufgebläht. Mehrere parallel verlaufende, tiefe Verletzungen haben das Schädeldach zerborsten. Dieser ungewöhnliche und widerwärtige Anblick macht die Männer fassungslos.
„Ist das ’n Mann oder ’ne Frau?“ fragt Steingräber die beiden anderen zaghaft.
Doch die können die Frage auch nicht beantworten und fassen ihre Unwissenheit mit dem Gedanken zusammen: „Keine Ahnung!“
„Auf jeden
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