Ekel / Leichensache Kollbeck
Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden ist. Ihr Gesicht drückt Ernst, fast Strenge aus.
Er spricht sie gleich an: „Kriminalpolizei, Hauptmann Baumgartner! Mein aufrichtiges Beileid!“ Doch nur zwei Atemzüge später fragt er: „Haben Sie Ihren Gatten gefunden?“
Die Frau antwortet mit trockenem Mund: „Ja, gegen 17.00 Uhr kam ich nach Hause. Ich hatte unseren Jungen von meiner Mutter in Liebenwalde abgeholt. Er war übers Wochenende bei ihr, wurde aber krank und konnte einige Tage nicht zur Schule. Als wir die Wohnung betraten, hab ich meinen Mann erst gar nicht gesehen. Dann rief der Junge: Mama, komm mal her, der Papa liegt hier mit lauter Schläuchen! Ich bin dann zum hinteren Zimmer. Dort lag er mit den Infusionen am Fotostativ. Sein Körper war schon steif. Da wußte ich Bescheid. Ich hab alles stehen lassen, den Rettungsdienst angerufen und den Jungen gleich zu Nachbarn gebracht …“
„’tschuldigung, ich muß Sie unterbrechen, aber gedulden Sie sich“, drängt Baumgartner. „Ich komme gleich wieder zu Ihnen.“
Dann geht er zu dem Raum am Ende des Korridors. Es scheint das Arbeitszimmer zu sein: Zwischen den Fenstern ein kleiner Schreibtisch, an der Wand gegenüber der Tür ein bis unter die Decke vollgepacktes Bücherregal. Auf einer Ausziehcouch, die mit weißen Linnen akkurat als Bett zurecht gemacht wurde, liegt, bis in Brusthöhe zugedeckt, ein Mann in gestreiftem Schlafanzug, die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt, wie friedlich schlummernd. Der linke Arm liegt, leicht angewinkelt, etwas außerhalb der Couch auf einer mit Laken abgepolsterten Erhöhung.
Der Ärmel des Schlafanzuges ist nach oben geschoben. Mehrere, durch breite Pflasterstreifen fixierte, dicke Kanülen stecken tief in den Armvenen des Mannes. Daneben mehrere medizinische Schlauchklemmen. Von den Enden der Kanülen führt ein Wirrwarr heller Plastikschläuche zu zwei Infusionsflaschen, an einem Fotostativ befestigt, mit Zetteln beklebt, die freundlicherweise Auskunft über den Inhalt geben: „1000 mg Velonarcon + 10 Ampullen Faustan, 10 Ampullen Pavulon + 5 Ampullen Insulin“. Das ist ein hochwirksamer Cocktail, der einen friedlichen, schmerzlosen Übergang in den ewigen Schlaf garantiert.
Baumgartner hebt den Arm des Toten leicht an und betrachtet dessen Unterseite: Die großflächigen Totenflecke deuten darauf hin, daß der Todeseintritt spätestens 6 Stunden zurückliegt. Er schießt einige Tatortfotos und asserviert die Infusionsflaschen für eine mögliche toxikologische Untersuchung.
Dann richtet sich seine Aufmerksamkeit auf das Gesicht des toten Mannes, der rotbraunes Haar hat und einen kurzgeschnittenen Vollbart trägt. Nun kommt ihm nicht nur der Name, sondern auch das Gesicht bekannt vor. Woher kennst du den nur?, hämmert es in seinem Hirn. Er überlegt, versucht, über Assoziationen in die Nähe seines Erinnerungsspeichers zu gelangen. Und plötzlich scheint die Reizleitung in seinem Hirn die richtige Stelle getroffen zu haben: Ist das nicht der Doktor aus dem Klinikum Buch, der im Suff sein bestes Stück öffentlich präsentierte und dessen Vorgang er an das MfS abgeben mußte? Noch ist er sich nicht hundertprozentig sicher, doch verläßt er diese Denkrichtung nicht mehr.
Als Baumgartner schließlich einige Übersichtsaufnahmen vom Zimmer des Verstorbenen macht, verheddert er sich mit den Füßen im Stromzuführungskabel eines Diktiergeräts, das mitten im Raum auf dem Boden steht. Er zieht das Kabel aus der Steckdose, nimmt das Gerät und verläßt den Raum.
Frau Dr. Eichelberg sitzt im Wohnzimmer und beendet gerade ein Telefongespräch. Baumgartner vermutet richtig, daß sie Verwandte und Freunde über das Ereignis informiert hat. Er plaziert das Diktiergerät auf dem Tisch und schließt es an die Steckdose: „Wissen Sie, was da drauf ist?“
„Nee, ich hab es gar nicht bemerkt, als ich bei meinem Mann im Zimmer war“, wundert sie sich.
„Es stand auf dem Teppich. Vielleicht hat er was draufgesprochen. Wollen Sie’s hören?“ Noch ehe sie die Frage bejaht, spult er das Band zurück und drückt auf die Wiedergabetaste.
Frau Eichelberg und Baumgartner sitzen andächtig und voller Spannung vor dem kleinen Apparat. Was sie hören, sind die letzten Worte eines verzweifelten Mannes an seine Frau: Er könne nicht ohne sie weiterleben und ist sich sicher, sie verloren zu haben, weil sie einen anderen Mann liebe. Sein Leben sei trotz aller beruflichen Erfolge verpfuscht. Er wisse,
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